Katharina Sieverding

Die Ausstellung KUNSTBUNKER NÜRNBERG 2020 von Katharina Sieverding im öffentlichen Raum war ursprünglich dafür gedacht die Aktivitäten des kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V. für ein breiteres Publikum sichtbar zu machen. Normalerweise finden die Ausstellungen und Veranstaltungen, die der kunstbunker als Initiative von Künstler*innen und Kulturschaffenden in Eigenregie durchführt, nämlich in einem ehemaligen unterirdischen Schutzbunker in der Nürnberger Innenstadt statt. Das setzt die Bereitschaft der Besucherinnen und Besucher voraus, diesen verborgenen Ort erst einmal zu finden. Durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie hat das Projekt nun allerdings eine zusätzliche Dimension bekommen, indem es die unmittelbare Begegnung mit Kunst unter erschwerten Bedingungen ermöglicht – so lange an einen geregelten Ausstellungsbetrieb, normalen Publikumsverkehr nicht zu denken ist.

Entsprechend ist KUNSTBUNKER NÜRNBERG 2020 als Ausstellung konzipiert, die einerseits einen Einblick in die künstlerische Arbeit von Katharina Sieverding geben will und zum anderen die situative Präsentation ihrer Arbeiten im öffentlichen Raum gerade mit Blick auf die aktuellen Gegebenheiten – den sozialen, kulturellen und ökonomischen Ausnahmezustand – mitbedenkt. Von 5. bis 25. Mai sind an 72 Standorten im Nürnberger Stadtgebiet insgesamt sechs Bilder der Künstlerin auf großformatigen Werbeflächen zu sehen. Diese Bilder aus einem Zeitraum von 1979 bis heute reihen sich kommentarlos in ein Bildprogramm ein, das üblicherweise von den Codes der Werbung dominiert ist und dabei ganz klar kommerziellen Interessen folgt.

Die sechs in Nürnberg gezeigten Bilder stammen aus einem Zeitraum von 1979 bis heute und wurden für die Präsentation als Großplakat adaptiert. Sieverding selbst beschreibt ihre Arbeit als „Aktualisierung von Gedächtnisbildern“ – ein Aspekt, der sich auch in der aktuellen Werkauswahl widerspiegelt.

Die Arbeit „OTIII/2020 (Nürnberg)“ (2020) wurde neu und eigens für die Präsentation in Nürnberg entwickelt. Das Motiv besteht aus der Montage zweier Fotografien: einem aktuellen von Sieverding aufgenommenen Dokumentationsfoto von Kuppel und Eckturm des Berliner Reichstagsgebäudes, gekrönt von der Europaflagge, das mit einer Archivaufnahme des Lichtdoms von Albert Speer überblendet ist. Von Hitler 1933 zur „Stadt der Reichsparteitage“ bestimmt, war Nürnberg bereits 1927 und 1929 zweimal Austragungsort der Parteitage der NSDAP. 1930 und 1931 konnten die für maximalen propagandistischen Effekt ausgeschlachteten Parteitreffen von der sozialliberalen Stadtführung verhindert werden. Von 1933 bis zum Kriegsbeginn 1939 wurden dann allerdings sechs Reichsparteitage auf dem von Speer dafür umfassend neu gestalteten Gelände durchgeführt.

„GLOBAL DESIRE II“ (2017) folgt ebenfalls dem Prinzip der Überblendung. Nur schemenhaft sind Techniker auszumachen, die einen russischen Kampfbomber zur Bekämpfung der Rebellen in Syrien vorbereiten. Formatfüllend hinterlegt findet sich eine Luftaufnahme von Zaatari im Norden Jordaniens, eines der größten Flüchtlingslager weltweit, das auf den Bürgerkrieg in Syrien zurückzuführen ist. Seit 2012 haben sich dort knapp 80.000 Menschen angesiedelt. Eine frühere Fassung der Arbeit, die 2017 in Düsseldorf plakatiert wurde, war mit einem Zitat des Literaturwissenschaftlers und Theoretikers des Orientalismus Edward Said „Am Falschen Ort“ überschrieben.

Das spektakuläre Motiv einer blauen Sonne im Zentrum von „DIE SONNE UM MITTERNACHT SCHAUEN SDO/NASA (Blue)“ (2010-2015) lässt sich auf eine Digitalanimation zurückführen, die Sieverding aus rund 200.000 auf NASA-Daten basierenden Einzelbildern entwickelt hat. Die Animation wurde zur Grundlage für zwei Filme, die als komprimierte Zeitbilder die Möglichkeit suggerieren, die Sonne durch das Erdinnere hindurch zu beobachten. Bei der präsentierten Fassung handelt es sich um ein Standbild aus der Animation.

Bereits 2005 wurde die Arbeit „DIE PLEITE“ (2005) anlässlich der Ausstellung CLOSE UP der KW Institute for Contemporary Art im öffentlichen Raum in Berlin plakatiert. Sie bezieht sich auf die gleichnamige, vom Januar 1919 an im Malik-Verlag von Wieland Herzfelde erscheinende Zeitschrift, die zu den wichtigsten Veröffentlichungen im Umfeld des Berliner DADA in den frühen Jahren der Weimarer Republik zählt. Im Spannungsfeld von Kunst und politischem Aktivismus trugen Künstler wie George Grosz und John Heartfield zum politisch und ästhetisch gleichermaßen provokanten Profil der Zeitschrift bei. In Sieverdings Arbeit ist der Zeitungstitel mit dem Motiv einer Sonnenfinsternis überblendet und weist zudem eine grobe Rasterung auf.

Das 1997 entstandene „STEIGBILD IX“ überblendet die gefundene Aufnahme der Verbrennung von Tierkadavern – Rinder, die an BSE, dem so genannten Rinderwahnsinn erkrankt waren und massenhaft geschlachtet werden mussten –, mit einem Ausschnitt aus der Sequenz eines menschlichen Genoms, die als zeichenhaft-abstrakter Pattern das gesamte Bildformat überzieht.

Die älteste Arbeit, das „WE HAVE FRIENDS ALL OVER THE WORLD“, (1979) mit seinem prominent ins Bild gesetzten Motto die Aufnahme von chinesischen Soldaten beim Morgensport, die Sieverding bei einem Aufenthalt in Beijing 1978 fotografiert hat, mit einem Schriftbanner aus dem einzigen, für ausländische Diplomaten geöffneten Hotel der Stadt, von dem das Motto herrührt. Ende 1978 hatte Deng Xiaoping in der Nachfolge Mao Zedongs die politische Führung der Volksrepublik China übernommen und mit seinem radikal wirtschaftspragmatischen Kurs den Grundstock für die wirtschaftliche Expansion Chinas zur nunmehr global agierenden Supermacht gelegt. Auch hier löst sich Sieverdings Anspruch ein mit ihrer Arbeit zur Aktualisierung von Gedächtnisbildern beizutragen, indem sie ein mehr als vierzig Jahre zurückliegendes persönliches Erlebnis vergegenwärtigt.

Mit ihrem umfangreichen Werk gehört Katharina Sieverding (Jg. 1944) zu den bekanntesten deutschen Künstlerinnen der Gegenwart. Sie gilt zu Recht als Pionierin, was die Verwendung des Fotografischen im Rahmen künstlerischen Arbeitens betrifft.

Fotografie zu benutzen, heißt gerade in ihrem Fall sehr viel mehr, als einfach nur fotografische Bilder herzustellen. Fotografie in der bildenden Kunst zu verwenden, kann in vielfältiger Weise geschehen und hängt mit der Entgrenzung von Medien und Genres ebenso zusammen wie mit der umfassenden Konzeptualisierung, die die Kunst seit den 1960er Jahren erfahren hat. Diese hatte grundsätzlichen Einfluss auf die künstlerischen Produktions-, Präsentations- und Vermittlungsweisen und bestimmt seitdem das Spektrum dessen, was Kunst heute sein und wie sie sich darstellen kann bzw. wie wir sie wahrnehmen.

Vertreterin Deutschlands bei der Biennale von Venedig (1997) und dreimalige Documenta-Teilnehmerin (1972, 1977 und 1982), ist Katharina Sieverding schon seit Ende der 1960er Jahre durch ihre spektakulären Porträtinszenierungen sowie durch die Großfotos bekannt geworden. Dieser völlig neue Umgang mit der Fotografie forderte die visuellen Industrien der Werbung und Medien heraus und forderte aus künstlerischer Perspektive eine durch Werbung und Medien in zunehmend industriellem Maßstab geprägten Politik der image power heraus und setzte sich mit der damit verbundenen Aufmerksamkeitsökonomie auseinander.

Regelrecht ikonisch wurden Sieverdings Bilder und Bildzyklen, die auf das Gesicht der Künstlerin fokussieren, etwa in den umfangreichen „MATON“- und „TRANSFORMER“-Serien Ende der 1960. Diese Serien sprengen das traditionelle Genre des Selbstporträts. Die Selbstdarstellung wird zwischen Starschnitt und Ikone stilisiert und – wie im „STAUFFENBERG-BLOCK“ (1969) – in offensiv auratischer Weise in Szene gesetzt und referenziell an Themenfelder wie Identitäts- und Genderkonstruktion oder die deutsche Geschichte angeschlossen. Zugleich begann Sieverding, im Vorgriff auf die Appropriation Art, mit angeeignetem Bildmaterial – z. B. Filmstills, found footage, Datenbanken, eigenen und gefundenen Dokumentations- und Archivfotos und direkt aus den Medien entnommenen Bildern – zu arbeiten.

Es ist also nur konsequent, wenn Sieverding ihre Arbeiten nicht nur in Ausstellungsräumen sondern auch im öffentlichen Raum und dort im Format des Großplakats präsentiert. Ihre kontroverse, auf 500 Plakatflächen im Großraum berlin realisierten Aktion „DEUTSCHLAND WIRD DEUTSCHER“ (1993) wurde als Reaktion auf die wachsende Zahl rechtsradikaler und rassistisch motivierter Anschläge im Zuge der Wiedervereinigung zum Politikum. Für ihr politisches Engagement bekannt, hat die Künstlerin wiederholt Plakataktionen zu verschiedenen Themen und Anlässen konzipiert, zuletzt als spektakulärer 200-Meter-Bildfries ihrer Arbeiten an der Außenfassade der Interimsspielstätte des Düsseldorfer Schauspielhauses 2018.

Hans-Jürgen Hafner

Wir freuen uns, dieses Projekt in Kooperation mit dem Bewerbungsbüro Kulturhauptstadt Europas 2025 der Stadt Nürnberg, unterstützt von der Stadtreklame Nürnberg und dank einer Förderung durch die Kulturstiftung der Sparkasse Nürnberg durchführen zu können. 

 

Flyer pdf

When Decisions Become Art

When Decisions Become Art
Selbstorganisation als Aktion und Reflexion

Einladung zu einem dreiwöchigen Live Programm im Kunstbunker
21.Oktober – 10.November 2019
Eröffnungsveranstaltung am Mittwoch 23. Oktober
Abschlussveranstaltung Freitag 08. und Samstag 09. November

In den ersten zwei Wochen geht es um Formen und Motivationen bei der Selbstorganisation.
Eine Auswahl an Nürnberger und internationalen Initiativen werden in Workshops als Diagramme skizziert und diskutiert, und als wachsende Ausstellung im Kunstbunker bleiben.
Selbtsorganisation ist nicht nur Mittel zum Zweck. Es ist auch Motto, Philosophie, Geschichte, Selbstverständnis und Politisch, und die dritte Woche ist Deklarationen und Proklamationen gewidmet. Fortlaufend: Publizieren, Organisieren, Ausprobieren, Kochen und sich Treffen. Das Programm mit allen Aktivitäten und Beteilgten wird im Kunstbunker fortlaufend aktualisiert werden.

For the Press Text in English scroll down.
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Der Kunstbunker steht während der Zeit als öffentlicher Raum zur Verfügung, um Modelle, Initiativen, Ideen zum Thema Selbstorganisation vorzustellen oder auszuprobieren.
Ideen und Fragen bitte e-mailen oder einfach vorbeikommen.

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Das Program (scroll down) wird auf der Webseite und vor Ort ständig aktualisiert werden, und auf Instagramm ankekündigt @decisonsbecomeart.

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Was und Wann?

Montag 21. Oktober:
10-18 Uhr: Einrichten / Moving in

Dienstag 22.Oktober:
10-18 Uhr: Einrichten / Moving in

Mittwoch 23.Oktober
11-13 Uhr: Pressetermin
14-17 Uhr: Public Mapping*: Jelängerjelieber
Eine öffentliche Gesprächsrunde mit dem kuratorischen Team, das 1995 die Ausstellung Jelängerjelieber im Kunstbunker organisiert hat. In einem Rückblick sollen die individuellen und gemeinsamen Motivationen des Selbstorganisierens betrachtet werden und reflektiert werden, wie es den je eigenen künstlerischen Werdegang beeinflusst und bestimmt hat.
Mit Susanne Bosch, Kathrin Böhm, Elke Haarer, Christina Jacoby und Matthias Klos.

19 – 22 Uhr Eröffnung, Suppe und Bar

Donnerstag 24. Oktober
16.30 -17.30 Präsentation Arte Útil Archive mit Alessandra Saviotti
16.00 – 20.00 Soundlab mit Susanne Dundler
17.00 -20.00 Gemeinsames kochen und essen

Freitag 25. Oktober
ab 18.00 Soundimprovisation mit Susanne Dundler

Samstag 26. Oktober
14.00-16.00 Soundlab mit Susanne Dundler
ab 16.30 Alles umsonst? Zur verzwickten Honorierung künstlerischer Arbeit

Podiumsdiskussion im Rahmen der Feier des 25-jährigen Bestehens des kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e.V. Teilnehmer*innen:

Thorsten Brehm, OB-Kandidat der SPD Nürnberg
Michael Hakimi, Künstler, Professor an der AdBK Nürnberg und Vorstandsmitglied im
kunstbunker e. V.
Milena Mercer, Kuratorin und derzeit kommissarische Leiterin des Kunstpalais Erlangen
Daniela Stöppel, Kunsthistorikerin, Vorstandsmitglied des Kunstraum München e. V.

Keynote: Heidi Sill, Künstlerin und Sprecherin des bbk berlin e.V.
Moderation: Michael Franz, Künstler und Vorstandsmitglied im kunstbunker e. V.

Sonntag 27. Oktober
ab 17.00 Offenes Treffen mit der Politbande
ab 18.00 Soundperformance mit Susanne Dundler

Mittwoch 30. Oktober
17.00 -19.00Uhr Public Mapping* mit N-Ort: Netzwerke und Verbündete

Donnerstag 31.Oktober
14.00 -16.00 Public Mapping* mit der Politbande
16.00 -18.00 DIY Publishing, Fanzine Workshop
18.00 – 20.00 Kochen und Essen mit Christine Bernhard

Freitag 1.November
14.00 -19.00 DIY Publishing Workshop mit Edizione Multicolore, Leipzig
16.00 – 20.00 Soundlab mit Susanne Dundler

Samstag 2.November
ab 18.00 Soundperformance mit Susanne Dundler

Sonntag 3. November
14.00 -17.00 Offenes Treffen

Mittwoch 6.November
15.00 – 18.00 Mentoring mit Judith Grobe und Gergana Todorova
ab 18.00 DAF STRUTTURA, Buchvorstellung und Event

Donnerstag 7. November
14.00 -17.00 Mapping and Declaring, DIY Publishing Workshop
18.00 – 20.00 Gemeinsames kochen und essen

Freitag 8. November
16.00 – 18.00 Deklarieren – Formulieren – Veröffentlichen, Fanzine Workshop
18.00 -20.00 Präsentation mit Kuba Szreder (Kurator/Kunsthistoriker, Warschau) und Gavin Wade (Künstler/Kurator, Eastside Projects, Birmingham)
anschließend Essen und Drinks

Samstag 9.November
14.00 – 16.00 Deklarieren, Formulieren, Veröffenlichen, Fanzine Workshop
16.00 -18.00 Präsentationen mit Grace Ndiritu (Künstlerin, Ghent) und Kathrin Böhm
anschließend Essen und Drinks

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Am Programm Beteiligte (inkl. vorbereitende Workshops)

Kunstbunker Team:
Silja Beck
Monique Haber
Veronika Haller
Lisa Konietzny

Vorstandsmitglieder:
Eva Raschpichler
Jim Broome
Michael Hakimi
Michael Franz
Hans-Jürgen Hafner

 

Elke Haarer
Judith Grobe
Gergana Todorova
DAF Dynaschie Akustische Forschung (Michael Akstaller) mit Rosa Anschütz und Gustavo Méndez
Kuba Szreder
Gavin Wade
Grace Ndiritu
Alessandra Saviotti/ Arte Útil
Stephen Wright
Susanne Dundler
Thorsten Brehm
Milena Mercer
Daniela Stöppel
Heidi Sill
N-Ort
Stadtlücken (Elli Schaumann)
Politbande
Fine Bieler und Dana Lorenz / Edizione Multicolore
Su Xia
Kristin Reimann
Petra Slottová
Clara Fieger
Samouil Stoyanov
Christine Bernhard, Überlingen
Paul Bießmann
Max Heimler
Veronica Burnuthian
Caroline d’Orville
Elena Speier
Stefanie Weigl
Susanne Karl
Regina Pemsl
Jonathan Pielmeier
Stephanie Walter
René Radomsky
Steffi Weigel
Elena Speier
Susanne Bosch

 

Workshops Sommer 2019:
Evelyn Kliesch
Maximilian Frohn
Rebecca Schwarzmeier
Rebecca Henkenhaf
Sandra Böhme
Katja Köditz
Carmen Westermeier
Simon Kellermann
Patricia Leon Torres
Steve Braun
Rebecca Prechter
Yanran Cao
Ronja Paffrath
Rory Witt
Jonathan Pielmeier

 

Design:
Sabrina Zeltner
Philipp Dittmar

 

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When Decisons Become Art wurde von der Künstlerin Kathrin Böhm initiiert, zum Anlass des 25jährigen Bestehens des Kunstbunkers.

Mit Unterstützung der zumikon Kulturstiftung, Centre for Plausible Economies, Kunst-Transfer- Praxis , Akademie der Bildenden Künste Nürnberg

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ENGLISH VERSION PRESS TEXT:

 When Decisions Become Art

Self-organisation through action and reflection: a three-week live programme at the kunstbunker – forum for contemporary art, in Nuremberg. Initiated by artist and co-founder Kathrin Böhm, on the occasion of the 25th anniversary of this artist-run space.

 

Launch event: Wednesday 23 October 6-9pm
Final events Friday 8 and Saturday 9 November, 6-8pm
with Gavin Wade, Kuba Szreder, Grace Ndiritu and Kathrin Böhm

To self-organise and make decisions is nothing new to artists. Artistic independence and autonomy are inherited concepts – defendable and questionable at the same time. But what does this independence actually mean when it comes to making decisions: about who art is for, why we make it, and who benefits from it? Each artist can decide how their work relates to others. Every decision supports or undermines existing conventions and systems – not always in an explicit or revolutionary manner – but steadily.

When Decisions Become Art is a loosely collective and self-organised public programme on the topic of self-determination and self-organisation in the art world. It will operate through a mixture of discursive, practical, social and propositional formats: including presentations, seminars, the mapping of local and international initiatives, cooking sessions and DIY publishing. The operational question of ‘how to organise’ will be expanded to a political one, by issuing a call to (re-)consider the desired relationship between art and society.

The different elements of the programme have been developed since May 2019, through a series of workshops and conversations between Kathrin Böhm and artists and students from the Academy of Fine Art in Nuremberg. For the duration of When Decisions Become Art the kunstbunker – itself the result of 25 years of artist led self-organisation – will become a public space and open platform to experiment. Suggestions and questions can be sent by e-mail, or introduced in person.

The evolving programme, and any new contributors, will be published on the kunstbunker website, or can be seen on Instagram @decisionsbecomeart

 

Lukas Quietzsch und Philipp Simon

Eröffnung: Freitag 14.6.2019, ab 19.00 Uhr

Lukas Quietzsch (*1985) und Philipp Simon (*1987) haben bis 2013 an der Kunsthochschule Berlin Weissensee studiert und treten sowohl mit ihrer jeweils individuellen künstlerischen Praxis (Quietzsch „Makel und Schimpf“ 2017 und Simon „Die dritte Person“ 2018, beide „Schiefe Zähne“ Berlin) als auch mit gemeinsamen Ausstellungsprojekten („Buffet der guten Zwecke“ Kunstverein Freiburg 2017) in Erscheinung. Darüberhinaus betreiben sie gemeinsam mit Monika Senz, seit 2014 den Ausstellungsraum „LISZT“ in Berlin. (http://lisztliszt.de/)

Das Verhältnis der dauerweihnachtlichen Stadtoberfläche Nürnbergs zum kunstbunker als historisches Sediment, nehmen Quietzsch und Simon zum Anlass im ehemaligen Luftschutzbunker weitere Schichten einzuziehen. In Beziehungen von davor und dahinter entwickeln sie Szenarien kultureller Konstruiertheit vor einer zeitlich konfusen Realität, die zunehmend an Konsistenz verliert und so die Frage nach der Behauptung unserer Perspektiven aufwirft.

 

Ich freue mich jedes Jahr, wenn die Bäume Ihre Blätter verlieren und es kälter wird schon auf den ersten Schnee, kann es kaum erwarten und sehne die Feiertage herbei. Auf meine Haut legt sich wieder diese kandierte Schicht, zwischen mich und meine Kindheit, zwischen die Wiedersehensfreude und die familiäre Wirklichkeit, eine Art therapeutische Hülle. Die Mutter ruft uns alle zu Tisch und eigentlich meine ich damit dieses Gefühl, dieses zusammen an einem Tisch sitzen und die Lust auf meine Familie, dieses ganze Konstruiert-Sein, diese Schicht zwischen ich und wir – klebrig wie Zucker. Daran klammere ich mich, obwohl ich damit hadere, weil es sich immer weiter verselbstständigt. Später im Gottesdienst, auf der Straße oder im Restaurant denke ich, es muss doch allen insgeheim klar sein.

Ich drifte. Ich meine, ich lebe in stratifizierten Räumen mit flächigen Eingängen. Ich bewege mich in diesen Räumen, in synthetischen Räumen, in Schichten artifizieller Ordnung. Und damit es immer und überall Schichten und Grenzen gibt, bin auch ich geschichtet.

Und begrenzt. [hier nimm] Ich nehme die nächste Harmlosigkeit und dabei stöpsel ich den Finger in den Bauchnabel, denn das einzige was zählt, ist die Erzählung. Es gibt halt Perspektiven die muss man sich leisten können. Aber insgesamt hat das wenig mit der Wirklichkeit zu tun und andererseits wird man sie nicht ganz los, sie klebt wie Harz. Also eine nächste Schicht, mein Bruder reicht mir den Brotkorb, die Hecke am Ende des Gartens und jede neue Auffassung unterstreicht dabei den Versatz zwischen mir und wir und ich drifte, während sich der Abstand weiter vergrößert, stehe ich auf der Grenze. Ab hier schwimmt alles in einem Brei von Perspektiven und Sichtweisen. [denke nicht negativ, sei unverzagt] Ich sollte mich ganz hingeben und ja sagen, das ist in Wirklichkeit viel schöner und harmonischer. Ich will im Zentrum meines Wohlbehagens sein, einem warmen Loch mit einem rauen und steilen Gang, der hinter mir nach oben führt – das ist meine Welt par excellence.

Besprechung von Elena Setzer bei KubaParis. Die Ausstellung bei Contemporary Art Daily und bei Art Viewer.

Öffentlicher Werkvortrag an der Akademie der bildenden Künste Nürnberg
Donnerstag, 4. Juli 2019 um 18 Uhr, Aula der Akademie

Ausstellungsansichten:

Heimo Zobernig

Eröffnung: Mittwoch 24.4.2019, ab 19.00 Uhr

Im kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V. ist eine retrospektive Auswahl  der Videos von Heimo Zobernig (Jg. 1958) zu sehen. Die Videos, eine Technik, mit der Zobernig seit 1981 immer wieder gearbeitet hat, haben sich im umfangreichen Oeuvre des Künstlers mittlerweile als eigene Werkgruppe etabliert.

Die ausgewählten Videos werden in einer vom Künstler vorgesehen Form präsentiert. Video ist, was die dafür notwendigen Geräte, die Technik und für deren Bedienung notwendigen Kenntnisse betrifft, relativ leicht verfügbar und günstig zu produzieren. Seit den 1980er Jahren hat es auch außerhalb der Kunst spezifische Produktionsweisen und Genres im Bereich des Dokumentarischen, des Journalismus und der Unterhaltungsindustrie, etwa das Musikvideo, hervorgebracht. Es ist außerdem ein wichtiger Zwischenschritt zu den heute gängigen, über Computernetzwerke verbreiteten Clip-Formaten und angeschlossene Rezeptionskulturen. Zobernigs Videos zeichnet ein grundsätzliches, medienanalytisches Interesse am Video aus, dessen Konjunktur in der Kunst der 1970er und 1980er Jahre freilich auch in der Kritik stand. Attackierte die US-amerikanische Kunsthistorikerin Rosalind E. Krauss an der Videokunst ihren Hang zur „Ästhetik des Narzissmus“, spiegelt sich in deren Geschichte die notorisch provokante, für die Entwicklung der modernen Kunst allerdings insgesamt zentrale Dialektik von de-skilling und re-skilling als die (selbst-)kritische Herausforderung von Könnerschaft und Kompetenz wider. Auch diese beiden Aspekte werden in Zobernigs Videoarbeiten kunstvoll ausgekostet.

Wir bedanken uns für die Unterstützung bei der Realisierung dieser Ausstellung bei der sammlung haubrok, Berlin und der zumikon Stiftung, Nürnberg.

Ausführlicher Text (pdf)

Bilder: Heimo Zobernig VIDEO
Installationsansichten, kunstbunker Nürnberg (25.4.-9.6.2019)
Fotos: Johannes Kersting
Courtesy: kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V.

NSK – Besetzt

(scroll down for English version)

Der kunstbunker freut sich in seinen Räumen die Ausstellung BESETZT präsentieren zu können. Die Ausstellung wurde organisiert und initiiert vom NSK Staat (vertreten durch das Kollektiv NSK Nürnbach-Laiberg), in Kooperation mit dem Z-Bau, dem kommkino und dem kunstbunker e. V. Nürnberg und dem Kusch e.V. Baiersdorf.

Hervorgegangen 1992 aus der Künstlerbewegung „Neue Slowenische Kunst“ (NSK), ist der NSK STAAT der erste globale Staat des bekannten Universums – er verzichtet bewusst auf territoriale Ausdehnung, sondern beansprucht die Zeit als sein Herrschaftsgebiet.
Einerseits funktioniert der NSK STAAT als soziale Skulptur (in Beuys‘ Sinne), ist aber auch eine Reflexion von/über Staatlichkeit, nationale/globale Identität sowie deren Leitideologien mit den drastischen Mitteln retro-avantgardistischer Prinzipien und Ästhetiken, mit denen er eine zwiespältig dystopisch-utopische Methode politisierter Kunst praktiziert.
Von den rund 15.000 weltweit existierenden BürgerInnen sind viele eigenständig aktiv in Kunst und Kultur, so auch in Deutschland und Franken. 
Die Ausstellung BESETZT zeigt Arbeiten der Gruppen NSK Nürnbach-Laiberg, NSK Lipsk, NSK Protektorat Drježdźany u.a., und ist Bestandteil des Veranstaltungsreigens „The Sound Of Politics“ anlässlich des Nürnberg-Konzerts der slowenischen Avantgarde-Band Laibach am 20. März im Z-Bau, Nürnberg.

Weitere Programmpunkte hier: http://nsk-nuernbach-laiberg.de

 

kunstbunker is happy to host the show BESETZT in its space. The show was organised and initiated by NSK State, in cooperation with Z-Bau, kommkino and kunstbunker e. V. Nürnberg and Kusch e.V. Baiersdorf.

Emerging out of the artist movement Neue Slowenische Kunst (NSK) in 1992, NSK STATE is the first global state in the known universe — and deliberately rejects territorial expansion, assuming time as its dominion instead. While functioning as a social sculpture (in Beuys‘ sense), NSK STATE is also a reflection on/of statehood, national/global identity and their guiding ideologies by means of stark retroavantgarde principles and aesthetics, practising an ambiguously dystopian/utopian method of politicised art.

Of the approximately 15.000 NSK citizens worldwide, many engage in arts and culture, also in Germany and Franconia.
The exhibition BESETZT („occupied“) displays works by the groups NSK Nürnbach-Laiberg, NSK Lipsk, NSK Protektorat Drježdźany and others, and is part of a series of events entitled „The Sound Of Politics“ accompanying Slovene avantgarde group Laibach’s performance at Nuremberg’s Z-Bau on March 20.

Event schedule and further information: http://nsk-nuernbach-laiberg.de

Herbert Achternbusch

Als Filmemacher, Schriftsteller, Dramatiker und bildender Künstler hat Herbert Achternbusch seit den 1960er Jahren ein umfangreiches und in seiner Art solitäres Werk vorgelegt. Material müsste also genug vorhanden sein. Dennoch ist die Angelegenheit irgendwie gespenstisch. Aus der öffentlichen Wahrnehmung ist er so gut wie verschwunden. Seine oft umstrittenen Filme – in den 1980er Jahren ein regelrechtes Politikum – sind schwer zugänglich, der Bühnenautor wird selten gespielt, der Maler nicht oft gezeigt.

Die Künstlerin Eva Raschpichler ist Mitorganisatorin des kunstbunkers. Sie hat sich auf das heutige München eingelassen, um der Sache mit dem Gespenst nachzugehen. Das Ergebnis ihrer Suche ist eine Ausstellung, in der Raschpichler zeigt, was sie kriegen konnte oder nicht.

! Bitte Zeiten beachten – Filmvorführungen !
Die Föhnforscher – Do bis Sa Start jeweils um 16.00 Uhr, So um 14.00 Uhr
Punch Drunk – Do bis Sa Start jeweils um 18.30 Uhr, So um 16.30 Uhr

Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
Samstag 20.10., 19.30 Uhr
Vortrag von Prof. Dr. Manfred Loimeier
„Neugeboren. Zur Wiederentdeckung des Werks von Herbert Achternbusch“

Freitag, 23.11., 19.30 Uhr
Festvortrag von Bert Rebhandl anlässlich des
80. Geburtstags von Herbert Achternbusch
„Der Achternbusch hält einfach drauf.“ Das sagt Herbert Achternbusch in seinem Film Punch Drunk über Herbert Achternbusch. Er spricht dabei in der Rolle des Kulturbeamten Riesenhuber, nimmt also die Position einer staatlichen Öffentlichkeit ein, mit der Achternbusch immer wieder Schwierigkeiten hatte. Der Vorwurf, „einfach drauf“ zu halten, lässt sich leicht in geläufige Sprache übersetzen: Was Herbert Achternbusch macht, ist keine Kunst. Dieser Vorwurf begleitet ihn seit vielen Jahren bei allen seinen Tätigkeiten: als Maler, als Autor, als Filmemacher, als Philosoph. Achternbusch zieht diesen Vorwurf auch ganz bewusst auf sich. Erst auf diese Weise wird sein Werk zu einem Großversuch eines Individuums mit den Systemen, in denen es lebt: Staat, Wetter/Klima, Körper, Geschichte, Religion.

Donnerstag 29.11., 20.00 Uhr
Thomas Witte liest Texte von Herbert Achternbusch
Die Lesung findet in Zusammenarbeit mit dem Gostner Hoftheater statt.

Besprechung Natalie Deligt, curt.de (externer link)

Besprechung Wolfgang Brauneis, Institut für Betrachtung (externer link)

Bilder:
Ausstellungsansichten
Fotos: Johannes Kersting

Anja Kirschner

Wir freuen uns, Sie zur Ausstellung „new genres” der in London lebenden Künstlerin Blaise Kirschner* im kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V. in Nürnberg einzuladen. Anlässlich dieser Ausstellung hat Kirschner eine neue zeitbasierte, interaktive Arbeit entwickelt, die sich ganz direkt auf Architektur und Geschichte des Bunkers, in dem die Ausstellung stattfindet, bezieht. Gerahmt von einer mehrteiligen Installation kann das Kernstück von „new genres“, ein Virtual-Reality-Video, über eine mobile Oculus Go Brille erlebt werden.

Blaise Kirschner (Jg. 1977) arbeitet als Künstlerin und Filmemacherin und hat seit 2003 auch in Kooperationen zahlreiche Filme und Videoinstallationen realisiert. Häufig macht sie in ihren Arbeiten Technologien und Produktionsweisen des Kinos und der Unterhaltungsindustrie explizit und thematisiert filmische Erzähl- und Darstellungsformen – immer auf Grundlage umfangreicher historischer und theoretischer Recherchen.

2016 hat die Künstlerin ihren ersten Langfilm „Moderation” vorgestellt. Er handelt von der – im Fortgang der Handlung zunehmend unrealisierbar werdenden – Produktion eines Horrorfilms. Zugleich werden dabei die Grenzen zwischen verschiedenen medial und filmisch hergestellten Realitäten sowie zur Wirklichkeit jenseits des Films brüchig. Darüber entwickelt sich „Moderation“ zu einer filmischen, theoretischen und historischen Reflexion über das seit der Frühzeit des Kinos populäre Genre ‚Horror’.

Für „new genres“ hat Blaise Kirschner unter anderem die Geschichte des heute als Ausstellungsort genutzten kunstbunker sowie seiner Umgebung recherchiert. Der ehemalige Schutzbunker wurde 1940/1941 unter dem Bauhof eingerichtet und bot 485 Schutzplätze.

Begleittext von Blaise Kirschner und Kerstin Stakemeier (pdf)

*in ursprünglicher Fassung stand hier Anja Kirschner, nach einer Namensänderung haben wir den Text 2024 angepasst

Georgie Nettell

Durch automatisiertes Tracking der Aktivitäten, Interessen, Vorlieben und Meinungen einer Person kann das psychografische Profil jedes Individuums ermittelt werden:
Die Art und Weise der verschiedenen Aktivitäten lassen Rückschlüsse auf Hobbys und alltägliche Routinen zu.
In den Interessen, die eine Person zeigt, offenbaren sich die zugrunde liegenden Denkmuster und Ideale.
In der persönlichen Meinung spiegeln sich individuelle Sichtweisen, Auffassungen, Gefühle, Überzeugungen und Wünsche wider.
Das Blickfeld jedes Menschen ist begrenzt, dabei wird unser Denken davon bestimmt, was wir wahrnehmen. Was wir für „Wissen“ halten, ist mehr und mehr ein Effekt der Personalisierung, der entsteht, wenn Algorithmen auf Basis ständig gesammelter Daten lernen, Dinge und Themen denjenigen anzupassen, zu denen sie „sprechen“.
Fünf Filme versetzen die Betrachter_in in den Kopf der Künstlerin, während diese alltäglichen, intimen und dennoch „typischen“ Aktivitäten nachgeht. Daneben zeigen 19 Plakate verschiedene Objekte und Architekturen; die jeweiligen Bildausschnitte sind so gewählt, dass Buchstaben des westlichen Alphabets erkennbar werden. Als Reihe nebeneinander an der Wand installiert, ergeben die Poster die Worte „REALITY“ und „CIVILISATION“. Im letzten Raum ist lediglich ein kleiner Button an eine der Wände montiert, wird er von den Besucher_innen gedrückt, gibt er eine zuvor aufgezeichnete Audio-Botschaft wieder.

Titel
Are you extroverted or are you neurotic? 1-5 – Videos
Natural Language 1/2 (reality/civilisation) – Plakate
different paths through the same set of information based on what you already know or want to know – Druckknopf
alle 2018

Georgie Nettell (*1984 in Bedford, England) lebt und arbeitet in London. In den letzten Jahren stellte sie in den Galerien Lars Friedrich (Berlin), Reena Spaulings (New York) und Project Native Informant (London) aus.

By tracking an individual’s Activities, Interests and Opinions (AIO) a psychographic profile can be constructed:
Activities focus on someone‘s daily routine and hobbies.
A person‘s interests reveal concepts and ideals that drive their passions.
An opinion may be the result of a person‘s perspective, understanding, particular feelings, beliefs, and desires.
Anyone’s field of vision is partial, the things you see determine how you think. What passes for knowledge is increasingly personalised as mundane data teaches algorythms to say things differently depending on who they are speaking to.
Five films allow the viewer to get inside the artist’s head as she performs everyday activities that are both intimate and typical. Alongside the films, 19 posters feature objects and architectures that have been cropped and composed to resemble letters of the western alphabet. Pasted to the wall in sequence, they spell out the words ‘REALITY’ and ‘CIVILISATION’. In the last room there is a wall mounted button. When activated by the user it relays a pre recorded message.

Titles
Are you extroverted or are you neurotic? 1-5 – films
Natural Language 1/2 (reality/civilisation) – posters
different paths through the same set of information based on what you already know or want to know – button
all 2018

Georgie Nettell lives and works in London. Recent solo shows include ‚The Comments‘ at Lars Friedrich, Berlin, ‚Multiple Choice‘ at Reena Spaulings, New York and ‚Current Affairs‘ at project native informant, London.

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Fred Lonidier

Von 15. November bis 31. Dezember 2017 ist im kunstbunker eine umfangreiche Ausstellung mit Arbeiten des US-amerikanischen Künstlers Fred Lonidier (Jg. 1942) zu sehen. Lonidiers Werk hat seinen Ursprung einerseits in der konzeptuellen Kunst der 1960er Jahre und bezieht seine Thematik andererseits aus der kontinuierlichen – und kritischen – Beschäftigung des Künstlers mit Arbeitsverhältnissen, Formen der Ausbeutung und gewerkschaftlicher Organisation sowie dem Prozess der Globalisierung und den Effekten transnationaler Handelsbeziehungen. Recherche und politischer Aktivismus spielen dabei eine wichtige Rolle. Lonidiers Vorgehen lässt sich gleichwohl weder auf das rein Dokumentarische, Konzeptuelle oder Aktivistische festschreiben. Auf Basis von Fotografien, Texten und Materialien zu historischen Ereignissen sammelt und collagiert Lonidier in oft über Jahre entwickelten Serien, thematische Panels und Schaubilder, die sowohl ästhetisch interpretiert als auch als dezidiert politische Statements gelesen werden können.
Vergleichbar den Ansätzen von Martha Rosler, Allen Sekula oder Mierle Laderman Ukeles ist Fred Lonidiers künstlerisches Werk nicht vom gesellschaftspolitischen Anliegen und sozialen Engagement zu trennen, welches es motiviert hat. Die eingesetzten Verfahren des Dokumentarischen und Journalistischen sind entsprechend mindestens ebenso sehr als künstlerischer ‚Stil‘ zu diskutieren wie als dessen Funktionalisierung als Mittel der Information, Aufklärung und Emanzipation.
Das in über vier Jahrzehnten gewachsene Werk des Künstlers ist in den USA in zahlreichen Museen und Institutionen gezeigt worden, in Europa aber bisher kaum bekannt. Im kunstbunker werden Teile der Serie N.A.F.T.A. (Not A Fair Trade for All), die das titelgebende nordamerikanische Freihandelsabkommen zum Thema hat, gezeigt. Diese Auswahl erfolgte im Dialog mit Lonidier, nicht zuletzt aufgrund der Geschichte Nürnbergs als ehemals wichtiger Industriestandort und den aktuellen Kontroversen um die transatlantischen Freihandelsabkommen CETA und TTIP.
Fred Lonidier wird bei der Eröffnung der Ausstellung anwesend sein. Am Mittwoch, den 15.11. findet im kunstbunker um 17.00 Uhr ein Künstlergespräch mit Fred Lonidier, dem Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis und Hans-Jürgen Hafner statt.

Die Ausstellung wurde durch die zumikon-Stiftung und des Deutsch-Amerikanische-Institut finanziell unterstützt.

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Aufzeichnung des Gesprächs von Fred Lonidier mit Wolfgang Brauneis und Hans-Jürgen Hafner

Till Megerle

In seiner Ausstellung The Thug Silhouette im kunstbunker – forum für zeitgenössische Kunst e. V. zeigt Till Megerle (Jg. 1979) ausgewählte Fotografien, einen neuen, gemeinsam mit Steffen Martin realisierten Film und Beispiele aus seinem zeichnerischen Werk.
Damit vereint Megerle technisch und vielleicht auch thematisch unterschiedliche Stränge seiner künstlerischen Arbeit. Gerade die Zeichnungen des Künstlers bilden einen eigenen, ästhetisch eigensinnigen Werkkomplex, der nicht zuletzt durch die souveräne Beherrschung unterschiedlichster zeichnerischer Manieren und Stile auffällt. Die in Kohle, Tusche aber auch mit Bleistift und Kugelschreiber ausgeführten Blätter beziehen sich deutlich auf historische Vorbilder – etwa den Niederländer Pieter Bruegel oder den konservativen Satiriker Wilhelm Busch. Durch eine Art Anreicherung mit zeitgenössischen Motiven und persönlichen Details transformiert Megerle die historischen Sujets jedoch und entlässt sie in eine Art Dazwischen, in dem sie sich einer eindeutigen Zuordnung – sowohl ins heute, wie auch ins Vergangene – permanent entziehen.
Dagegen wirken Megerles Fotografien – kleinformatig abgezogene Bilder, die der Künstler paarweise in Rahmen anordnet und seriell arrangiert oder, wie aktuell in der Ausstellung, in Form einer Diasequenz präsentiert, auf den ersten Blick amateurhaft, wie aus privaten Familienalben entnommen. Auch hier wird aber eine Art psychologischer Unterströmung sichtbar, die das Vertraute bereits durch die genaue Auswahl des Motivs und des Bildausschnitts, mittels Komposition, Farbigkeit und Belichtung ins beinahe Unwirkliche verzerrt. In diesen Fotografien dokumentiert Megerle einerseits sein unmittelbares Umfeld, Familienangehörige etwa, Vorgärten und Hausfassaden oder Freunde. Andererseits bleibt es nicht beim bloßen Aufnehmen, Sammeln und Klassifizieren, wenn der Künstler die Fotografien gegen lineare Leseweisen, antichronologisch, themenübergreifend usw. arrangiert und so Motive, die zuerst so scheinbar normal und bis ins Banale hinein vertraut wirken, zusätzlich regelrecht fiktionalisiert. Konzepte wie Herkunft, Biografie, Klasse oder sogar das Fränkische werden auf diese Art und Weise als konstruiert vorgeführt; der Kamerablick als immer auch durchsetzt von Bild- und Stilkonventionen, beeinflusst nicht zuletzt durch die Effekte der Kulturindustrie und der digitalen Bildverarbeitung und -zirkulation.
An der Grenze zwischen performativer Unmittelbarkeit und filmischer Inszenierung bewegt sich auch der Film, den Megerle zusammen mit Steffen Martin in einer Kleinstadt in Nordbayern realisiert hat. In einer Art surrealem Kammerspiel befinden sich dabei zwei Akteure, eine Frau und ein Mann – vielleicht ein Paar, in einer schwer zu dechiffrierenden, emotional und psychisch äußerst zugespitzten Situation, diese wird – bei aller formalen Präzision und Rhythmisierung – eher lapidar ohne eine eindeutige Auflösung an die Betrachter_innen sozusagen weitergegeben.
Till Megerle hat nach einer Ausbildung zum Fotografen in Nürnberg, Leipzig und Wien Kunst studiert. Er lebt in Wien.
Im Rahmen der Eröffnung wird Alexander Hempel über das Werk Megerles sprechen. Er ist Künstler und Softwareentwickler und lebt in Berlin.

Dokumentation der Ausstellung bei Contemporary Art Daily