Lange Nacht der künstlerischen Forschung

Die Lange Nacht der künstlerischen Forschung dauerte circa von April 2020 bis heute Abend. Sie dauert noch oder sie fängt gerade erst an: Eigentlich beginnt sie am 19.06. und endet am 25.07.2021. Herzlich willkommen!

Ich hatte die Ausstellung „Die Stadt der künstlerischen Forschung“ nennen wollen, aber dieser Titel schien in Nürnberg (der Stadt der Menschenrechte im übrigen) auf eine andere Art problematisch als er es sein sollte. Ich habe daher davon Abstand genommen. Denn mir ging es nicht um den Bunker oder die Geschichte der Stadt Nürnberg und den Skandal, der es vielleicht ist, diese nicht pausenlos auch zu benennen und auszustellen, sondern um die immer wieder auch als solche beschriebenen fragmentierten Öffentlichkeiten, die das Internet und der Schritt von den Massen- zu den sozialen Medien mit sich bringt. Eine Frage, die sich im heute Abend endlich endenden Jahr 2020 zunehmend dringender stellte, war auch, was aus der Stadt wird, oder eben aus jener Art von Struktur, in der es Kunsträume gibt, wenn aus hygienischen Gründen die Physiopolitik der Germ-Pods dem „Sich vor Kunst Treffen“ vorzuziehen ist. Corona als Medium der Medien machte sichtbar, was sonst weniger sichtbar auch passiert: Das, was wir hier machen gehört zu einer Anatomie, die dabei ist, sich aufzulösen. Was nicht nur schlecht sein muss.

Malene List Thomsen (Berlin) zeigt eine Serie von Zeichnungen und Objekten, die für diesen Ort neu entstanden sind. Das Motiv einer Kerze ebenso wie bestimmte Formen der Umnutzung von Alltagsobjekten werden dabei auf ihre Skalierbarkeit hin überprüft.

Stefanie Pretnar (Frankfurt/Main) hat auch eine Arbeit für den Kunstbunker entwickelt. Diese bezieht sich auf einen – allerdings schon vor einigen Jahren abgeschlossenen – Architekturwettbewerb, der dazu aufforderte eine neue Nutzung für das französische Schloss Chambord vorzuschlagen. Der seit seinem Bau im 16. Jahrhundert kaum nutzbare, d.h. nicht wirklich bewohnbare Repräsentationsbau an der Loire wird in Pretnars Entwurf Aufführungsort für die experimentelle Musik von Maryanne Amacher.

Lisa Holzer (Wien/Berlin) zeigt sechs Fotografien aus verschiedenen Serien, bei denen unter anderem Essen als abstraktes Bildelement zugleich den Körper als auch das Abjekte in die Abstraktion einschreiben, um Logiken des Begehrens zu umreißen.

Mein Beitrag zur Ausstellung ist das Magazin Future Laws against Fat Shaming. Es umfasst zehn Interviews und Gespräche zu Themen wie Body Positivity, CGI, Coming-out, Passivität, Überwachung und der Hexenhammerzeit des Internet.
Das Magazin ist kostenfrei im Kunstbunker erhältlich.
Die Autor:innen des Magazins wurden zudem in Zusammenarbeit mit den Zuckerbäckern von Amemal Candy Sculpture (Hideaki und Chieko Idetsuki) in Form von Lollies portraitiert.

Die Pandemie, der durch sie nötige Abstand zueinander und dessen Auswirkungen auf Ausstellungen aller Art sind ein Zusammenhang, den sich so wohl niemand ausgedacht hätte und mit dem es dennoch umzugehen gilt. Er bildet die aktuelle Kulisse, vor der sich Freund:innen langsam finden und Feind:innen schnell.

Anke Dyes

 

Mit freundlicher Unterstützung durch:

 

Akerman-Grigorescu

***Please scroll down for the English version***

Die Ausstellung unwahrnehmbar-werden. Chantal Akerman, Ion Grigorescu stellt zwei herausragende Künstlerpositionen gegenüber. Mit über vierzig genreübergreifenden Filmen und ab Mitte der neunziger Jahre Videoinstallationen, sowie auch autobiographischen Essays wie „My Mother Laughs“ und „A Family in Brussels“ gilt Chantal Akerman (1950-2015) als eine der innovativsten Filmemacherinnen der letzten 50 Jahre. Ion Grigorescu ist als einer der bedeutendsten osteuropäischen Künstler bekannt, dessen filmisches, fotografisches und malerisches Werk seit nun über fünf Jahrzehnten experimentelle Praxis und Ausdrucksformen der Spiritualität vereint. Aus ihrem vielseitigen Schaffen, das in jeweils sehr unterschiedlichen künstlerischen und politischen Kontexten entstand, kristallisiert sich ein Themenkomplex heraus, in dem sich Familiengeschichte, Rituale des Alltags und intime Obsessionen mit Fragen über Heimat und Exil, Identität und Gedächtnis, und das Dokumentarische mit der Autofiktion verquicken.
Als sie mit fünfundzwanzig mit ihrem wegweisenden Jeanne Dielman, 23 Quay du Commerce, 1080 Bruxelles (1975) weltbekannt wurde, hatte Chantal Akerman bereits sechs Filme geschrieben, gedreht, produziert und teilweise gespielt. Es folgten zahlreiche weitere Filme und Videoinstallationen, die zwar ein breites Band an Formaten und Genres durchqueren, bezeichnenderweise jedoch stets Akermans einzigartige Vision des Kinos als körperliches Zeiterlebnis an das Publikum nahebringen. Akermans Deleuzesche und im Sinne des zweiten Gebots jüdische Lesart des Minimalismus als sparsame Formensprache, der sie sich zum Sichtbarmachen des „Minoritären“ bedient, wird in ihren vielen Porträts weiblichen Begehrens besonders deutlich. So in einer Reihe von Kurzfilmen, wie die hier präsentierten Saute ma ville (1968) und dem 2012 von ihr auch als Videoinstallation konzipierten La Chambre (1972), in denen Akerman sich selbst nicht ohne Humor in einem mal klaustrophobisch, mal schützend wirkenden häuslichen Umfeld inszeniert. Als Tochter einer jüdisch-polnischen Mutter, die dem Holocaust entkam, beschäftigte sich Akerman in ihrem gesamten Schaffen, so auch in ihrem letzten Film No Home Movie (2015), immer wieder mit der Figur der Mutter und dem von ihr Unausgesprochenen, mit der Lücke in der Familiengeschichte, die bis zuletzt unausgefüllt bleiben sollte. Akermans filmischen Essays wie Là-bas (2006), Histoires d‘Amérique (1989) und Dokumentarfilme wie De l‘autre côté (2002) und Sud (1999) binden persönliche Schicksale in historische Geschehen ein und erzählen von den katastrophalen Folgen von Hass, Vertreibung, Krieg.

Auch in Ion Grigorescus Werk bildet die Verschmelzung des Dokumentarischen mit der Autofiktion eine formale wie inhaltliche Konstante vor der Folie politischer und sozialer Umstände (kommunistische Diktatur, der stotternde Übergang des Landes in die Demokratie, zerstörte urbane Landschaften, materielle Armut vs. moralische Verkommenheit). Aus einer ambivalenten, stets hinterfragenden Position heraus entwickelt Grigorescu seine konzeptuelle und performative Praxis und die intime, improvisierte, provokative Qualität seines filmischen, fotografischen und malerischen Werkes, von dem hier eine Auswahl präsentiert wird. Seine während einer langen Zeitspanne entstandenen und zum Teil weniger bekannten tagebuchartigen Aufnahmen von Ruinen, Mahlzeiten und Überbleibseln, häuslichen Räumlichkeiten, Gärten, Familien- und Freundeskreis erscheinen bescheiden und doch essenziell. Grigorescus transgressiven Selbstporträts entwerfen ein modifiziertes, sich in Bewegung befindendes Bild der Männlichkeit, das Geschlechterrollen in Frage stellt und überschreitet. So wenn er sich in den Akt des Gebärens hineinversetzt oder tägliche Hausarbeiten zugleich als Ritual der Selbstfindung, Überlebensmechanismus und gesellschaftlichen Kommentar in seine künstlerische Praxis integriert. Ion Grigorescus idiosynkratisches Werk entzieht sich dem bequemen Zugang durch die Vermählung einer antiautoritären Verweigerungsstrategie mit der Neuerfindung aus seiner Neigung zur Spiritualität heraus.

Beide Künstler entwerfen und verdichten in ihren Werken Sprachen des Alltags, wodurch sie zum einen zur wachsenden Bedeutung dieser Thematik in den Diskursen und Kunstformen ab den 60er und 70er Jahren ihre einzigartigen Beiträge leisten. Zum anderen offenbaren sie eine sie auszeichnende und verbindende politisch und spirituell motivierte Empathie für das zerbrechlich Menschliche, das sich im Marginalen und augenscheinlich Unbedeutenden widerspiegelt. Für diese Ausstellung wurden Werke ausgewählt, die in den Worten der britischen Filmtheoretikerin Laura Mulvey Topographien des (Er-)Lebens und ihre internen Widersprüchlichkeiten aufdecken––„topographies of living and their internal contradictions“––und die in der Gegenüberstellung historischer Kontexte und persönlicher Geschichten fortwährend aktuelle und dringliche Fragen über Begehren und ethische Verantwortung in der Begegnung mit dem Anderen erheben.

Kuratiert von Mihaela Chiriac

 

Als Teil der Ausstellung finden zu einzelnen Terminen Filmvorführungen statt. Am 1.11. und am 22.11. wird Mihaela Chiriac persönlich durch die Ausstellung führen. Leider ist aufgrund der aktuellen Situation die Teilnehmer*innenzahl begrenzt. Bitte melden Sie sich für Screenings und/oder Führungen unter anmeldung@kunstbunker-nuernberg.org an.

Screenings of selected films by Chantal Akerman as well as two guided tours will accompany the exhibition. The number of participants is limited due to the current health measures. Please register your attendance to any of the listed events at anmeldung@kunstbunker-nuernberg.org.

 

FILMPROGRAMM & FÜHRUNGEN / SCREENINGS & GUIDED TOURS
Alle Filme OmU (eng) oder im Original (eng) / all films OV with English subtitles or OV (En)

15.10.2020
   6:30 pm: Saute ma ville, 1968, 13 min

18.10.2020   4:00 pm: From the Other Side, 2002, 103 min

25.10.2020   
4:00 pm: South, 1999, 71 min

01.11.2020   3:30 pm: Führung mit / tour through the exhibition with Mihaela Chiriac

01.11.2020   4:00 pm: Down There, 2006, 79 min

05.11.2020
   6:30 pm: Saute ma ville, 1968, 13 min

08.11.2020
   4:00 pm: Le 15/8, 1973, 42 min

15.11.2020
   4:00 pm: No Home Movie, 2015, 113 min

22.11.2020
   3:30 pm: Führung mit / tour through the exhibition with Mihaela Chiriac

22.11.2020   4:00 pm: Histoires d‘Amérique: Food, Family and Philosophy, 1989, 92 min

 

Mihaela Chiriac bedankt sich an / Special thanks to:
Sylviane Akerman, CINEMATEK – Royal Film Archive of Belgium, Fondation Chantal Akerman
, Ion Grigorescu, Boglárka Nagy, Gregor Podnar, Berlin
, Adam Roberts (A Nos Amours), The Party Film Sales

und an/as well as:
Eva, Mike, Michael, Jim, Elke, Rebecca, Maria, Eva, Marian, Melissa, Nico, Terry, Vajra, Cata, Ana, Marieta, Mica, Vali, and Mark.

Die Ausstellung wird gefördert durch / the exhibition is made possible by:
Bezirk Mittelfranken, Kulturreferat der Stadt Nürnberg, zumikon-Kulturstiftung.

 

Mihaela Chiriac (*1984 in Brasov, Rumänien) arbeitet als freie Kuratorin und Autorin in Berlin. Sie studierte Kunstgeschichte und Theater- und Medienwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Als Mitbegründerin des kuratorischen Projektes und gleichnamigen Ausstellungsraums Stations hat sie zusammen mit Melissa Canbaz in Deutschland erstmalige Präsentationen junger, sowie auch historischer Positionen organisiert und mit der Vortrags-, Film- und Musikreihe Balkon ein interdisziplinäres Programm konzipiert, das auf den Standort des Raumes in Berlin-Kreuzberg Bezug nimmt.

 

***ENGLISH VERSION***
The exhibition becoming imperceptible. Chantal Akerman, Ion Grigorescu brings together two outstanding artists. With over forty films, numerous video installations and autobiographical essays like „My Mother Laughs“ and „A Family in Brussels“, Chantal Akerman (1950–2015) is considered to be one of the most innovative filmmakers of the past fifty years. Ion Grigorescu (*1945) is one of the most prominent Eastern European artists whose multifaceted oeuvre incorporates both an experimental practice and the expression of spirituality. Akerman and Grigorescu were born in Brussels and Bucharest, respectively; their artistic output emerged in two very dissimilar political and cultural contexts. Yet both their oeuvres crystallize a complex set of themes and motifs that meld documentary with autofiction, and questions on exile, identity, and memory with imagery of the private. While in a broader sense their respective work relates to the intellectual discourse of the ’60s and ’70s concerning the integration of life in art, their portrayals of home and interiority, daily rituals, intimate obsessions, and family history are unique in their vision and in their particular empathy for the prosaic, the marginal, and the minoritarian. The exhibition brings forth a selection of works by Akerman and Grigorescu which, in British film theorist Laura Mulvey’s words, trace the “topographies of living and their internal contradictions.” Against the backdrop of their historical contexts and personal histories, Akerman’s and Grigorescu’s works confront us with questions on desire and ethical responsibility in facing the Other.
Chantal Akerman’s groundbreaking work is that of a filmmaker, a writer, and an artist—in no particular order. Very early on, in her twenties, Akerman had already devised her own cinematic language by repurposing the cool minimal formalism of Snow and Warhol into a vehicle for (auto)fictional narrative and a formal intensifier of the corporeal, durational experience of viewing. In her cinema (exploring many genres) and video installations, the text and the act of writing are a driving force that she often references on a diegetic as well as a formal level, adding a diaristic, confessional component to many of her works. The narratives of Akerman’s films emerge from a particularly strong, well-determined tension between the inner and the outer world, between interiors, images of the city, and landscapes, between soundscapes and silences. Akerman’s films and videos are an intimate time-space for the viewer to inhabit. Her “Deleuzian”––and, with the second commandment in mind, Jewish––reading of minimalism, led her to employ what she called a “poor” cinematic language, a restricted vocabulary that helped her reveal stances of the minor and “minoritarian.” She has done so most notably in her portrayals of women and female desire, in some of which she would play herself. In her experimental short films Saute ma ville (1968), La Chambre (originating from 1972 and recreated by Akerman as a video installation in 2012), and La paresse (1986) Akerman can be seen inside her home, an environment that seemingly both protects her and triggers claustrophobic reactions. 
Many of these filmic self-portraits quite humorously disguise tragedy as slapstick. The daughter of a Polish Jewish Holocaust survivor, Akerman gravitated in life and work around the figure of her mother Natalia and the untold and untellable history of her family. Her last film, No Home Movie (2015), is a final and sorrowfully failed attempt at finding answers. The mother as a topos of home shatters with Natalia’s disappearance. Similarly, Akerman’s documentaries and filmic essays Là-bas (2006), De l’autre côté (2002), Sud (1999), and Histoires d’Amérique (1989) speak of the ruinous consequences of hatred, war, and displacement.
Ion Grigorescu’s diverse artistic output, much of which was only disclosed after the fall of the Communist regime in 1989, consists of photographs, films and videos, painting, and diaristic writing, as well as his restorations of church murals and icons, the latter being a form of work he began in the mid-’80s and continues up to this day. 
Grigorescu’s artistic experiments started in the late ’60s, targeting “real images” and a realism that was generally rejected by many of his peers who, like him, did not conform to the histrionic, declamatory varieties of official socialist “realism.” Unlike Grigorescu, though, many artists of the time were attracted to the various languages of modernist abstraction, removed from the direct political implications of realism. Grigorescu instead felt a need to document what his eyes saw––a raw impulse that incorporated both the public and the private and transgressed what censorship, the ideology of the “new man,” and the pseudo-morality of Communist society expected and allowed.
The implications of this interest led Grigorescu to reject the strict formation of a style in his work—in other words, to reject adherence to any single artistic identity. If one looks for a center, none is to be found. Throughout his life and work, Grigorescu has explored the margins, diffusing (enriching) meaning through a consistent tactic of obfuscation and improvisation. His films and photographs leap indiscriminately from the personal to the public, as do his diaries, which change registers nearly unnoticeably between descriptions of dreams, daily records, and intimate musings on art, spirituality, and society. His images of ruins, leftovers, interiors, gatherings, doors, hallways, and nourishment emerge as humble and yet essential. Grigorescu’s “self-performances” for and with the camera are raw and unassuming, conceiving a modified image of masculinity that challenges and transgresses gender roles i.e. by symbolically enacting birth-giving and by making domestic activities integral to his practice as a sort of survival strategy and ritual of self-discovery.
A nomad in many ways, Chantal Akerman never acquiesced to being co-opted by any single project. Settling only within the nomadic home of her Jewish heritage, Akerman’s work is her very distinctive écriture féminine––an appeal French writer Hèléne Cixous made in her text The Laugh of the Medusa (1975), specifically to women and obliquely to men, as a means of breaking the mold of an enduring historical pattern. Similarly, Ion Grigorescu has managed to elude and perhaps perplex his critics to this day with an idiosyncratic oeuvre––a chaosmos, to remain in Cixous’s realm––that conjugates a persistent tactic of anti-authoritarian refusal and re-invention to his propensity to tradition and spirituality.

Curated by Mihaela Chiriac

Katharina Sieverding

Die Ausstellung KUNSTBUNKER NÜRNBERG 2020 von Katharina Sieverding im öffentlichen Raum war ursprünglich dafür gedacht die Aktivitäten des kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V. für ein breiteres Publikum sichtbar zu machen. Normalerweise finden die Ausstellungen und Veranstaltungen, die der kunstbunker als Initiative von Künstler*innen und Kulturschaffenden in Eigenregie durchführt, nämlich in einem ehemaligen unterirdischen Schutzbunker in der Nürnberger Innenstadt statt. Das setzt die Bereitschaft der Besucherinnen und Besucher voraus, diesen verborgenen Ort erst einmal zu finden. Durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie hat das Projekt nun allerdings eine zusätzliche Dimension bekommen, indem es die unmittelbare Begegnung mit Kunst unter erschwerten Bedingungen ermöglicht – so lange an einen geregelten Ausstellungsbetrieb, normalen Publikumsverkehr nicht zu denken ist.

Entsprechend ist KUNSTBUNKER NÜRNBERG 2020 als Ausstellung konzipiert, die einerseits einen Einblick in die künstlerische Arbeit von Katharina Sieverding geben will und zum anderen die situative Präsentation ihrer Arbeiten im öffentlichen Raum gerade mit Blick auf die aktuellen Gegebenheiten – den sozialen, kulturellen und ökonomischen Ausnahmezustand – mitbedenkt. Von 5. bis 25. Mai sind an 72 Standorten im Nürnberger Stadtgebiet insgesamt sechs Bilder der Künstlerin auf großformatigen Werbeflächen zu sehen. Diese Bilder aus einem Zeitraum von 1979 bis heute reihen sich kommentarlos in ein Bildprogramm ein, das üblicherweise von den Codes der Werbung dominiert ist und dabei ganz klar kommerziellen Interessen folgt.

Die sechs in Nürnberg gezeigten Bilder stammen aus einem Zeitraum von 1979 bis heute und wurden für die Präsentation als Großplakat adaptiert. Sieverding selbst beschreibt ihre Arbeit als „Aktualisierung von Gedächtnisbildern“ – ein Aspekt, der sich auch in der aktuellen Werkauswahl widerspiegelt.

Die Arbeit „OTIII/2020 (Nürnberg)“ (2020) wurde neu und eigens für die Präsentation in Nürnberg entwickelt. Das Motiv besteht aus der Montage zweier Fotografien: einem aktuellen von Sieverding aufgenommenen Dokumentationsfoto von Kuppel und Eckturm des Berliner Reichstagsgebäudes, gekrönt von der Europaflagge, das mit einer Archivaufnahme des Lichtdoms von Albert Speer überblendet ist. Von Hitler 1933 zur „Stadt der Reichsparteitage“ bestimmt, war Nürnberg bereits 1927 und 1929 zweimal Austragungsort der Parteitage der NSDAP. 1930 und 1931 konnten die für maximalen propagandistischen Effekt ausgeschlachteten Parteitreffen von der sozialliberalen Stadtführung verhindert werden. Von 1933 bis zum Kriegsbeginn 1939 wurden dann allerdings sechs Reichsparteitage auf dem von Speer dafür umfassend neu gestalteten Gelände durchgeführt.

„GLOBAL DESIRE II“ (2017) folgt ebenfalls dem Prinzip der Überblendung. Nur schemenhaft sind Techniker auszumachen, die einen russischen Kampfbomber zur Bekämpfung der Rebellen in Syrien vorbereiten. Formatfüllend hinterlegt findet sich eine Luftaufnahme von Zaatari im Norden Jordaniens, eines der größten Flüchtlingslager weltweit, das auf den Bürgerkrieg in Syrien zurückzuführen ist. Seit 2012 haben sich dort knapp 80.000 Menschen angesiedelt. Eine frühere Fassung der Arbeit, die 2017 in Düsseldorf plakatiert wurde, war mit einem Zitat des Literaturwissenschaftlers und Theoretikers des Orientalismus Edward Said „Am Falschen Ort“ überschrieben.

Das spektakuläre Motiv einer blauen Sonne im Zentrum von „DIE SONNE UM MITTERNACHT SCHAUEN SDO/NASA (Blue)“ (2010-2015) lässt sich auf eine Digitalanimation zurückführen, die Sieverding aus rund 200.000 auf NASA-Daten basierenden Einzelbildern entwickelt hat. Die Animation wurde zur Grundlage für zwei Filme, die als komprimierte Zeitbilder die Möglichkeit suggerieren, die Sonne durch das Erdinnere hindurch zu beobachten. Bei der präsentierten Fassung handelt es sich um ein Standbild aus der Animation.

Bereits 2005 wurde die Arbeit „DIE PLEITE“ (2005) anlässlich der Ausstellung CLOSE UP der KW Institute for Contemporary Art im öffentlichen Raum in Berlin plakatiert. Sie bezieht sich auf die gleichnamige, vom Januar 1919 an im Malik-Verlag von Wieland Herzfelde erscheinende Zeitschrift, die zu den wichtigsten Veröffentlichungen im Umfeld des Berliner DADA in den frühen Jahren der Weimarer Republik zählt. Im Spannungsfeld von Kunst und politischem Aktivismus trugen Künstler wie George Grosz und John Heartfield zum politisch und ästhetisch gleichermaßen provokanten Profil der Zeitschrift bei. In Sieverdings Arbeit ist der Zeitungstitel mit dem Motiv einer Sonnenfinsternis überblendet und weist zudem eine grobe Rasterung auf.

Das 1997 entstandene „STEIGBILD IX“ überblendet die gefundene Aufnahme der Verbrennung von Tierkadavern – Rinder, die an BSE, dem so genannten Rinderwahnsinn erkrankt waren und massenhaft geschlachtet werden mussten –, mit einem Ausschnitt aus der Sequenz eines menschlichen Genoms, die als zeichenhaft-abstrakter Pattern das gesamte Bildformat überzieht.

Die älteste Arbeit, das „WE HAVE FRIENDS ALL OVER THE WORLD“, (1979) mit seinem prominent ins Bild gesetzten Motto die Aufnahme von chinesischen Soldaten beim Morgensport, die Sieverding bei einem Aufenthalt in Beijing 1978 fotografiert hat, mit einem Schriftbanner aus dem einzigen, für ausländische Diplomaten geöffneten Hotel der Stadt, von dem das Motto herrührt. Ende 1978 hatte Deng Xiaoping in der Nachfolge Mao Zedongs die politische Führung der Volksrepublik China übernommen und mit seinem radikal wirtschaftspragmatischen Kurs den Grundstock für die wirtschaftliche Expansion Chinas zur nunmehr global agierenden Supermacht gelegt. Auch hier löst sich Sieverdings Anspruch ein mit ihrer Arbeit zur Aktualisierung von Gedächtnisbildern beizutragen, indem sie ein mehr als vierzig Jahre zurückliegendes persönliches Erlebnis vergegenwärtigt.

Mit ihrem umfangreichen Werk gehört Katharina Sieverding (Jg. 1944) zu den bekanntesten deutschen Künstlerinnen der Gegenwart. Sie gilt zu Recht als Pionierin, was die Verwendung des Fotografischen im Rahmen künstlerischen Arbeitens betrifft.

Fotografie zu benutzen, heißt gerade in ihrem Fall sehr viel mehr, als einfach nur fotografische Bilder herzustellen. Fotografie in der bildenden Kunst zu verwenden, kann in vielfältiger Weise geschehen und hängt mit der Entgrenzung von Medien und Genres ebenso zusammen wie mit der umfassenden Konzeptualisierung, die die Kunst seit den 1960er Jahren erfahren hat. Diese hatte grundsätzlichen Einfluss auf die künstlerischen Produktions-, Präsentations- und Vermittlungsweisen und bestimmt seitdem das Spektrum dessen, was Kunst heute sein und wie sie sich darstellen kann bzw. wie wir sie wahrnehmen.

Vertreterin Deutschlands bei der Biennale von Venedig (1997) und dreimalige Documenta-Teilnehmerin (1972, 1977 und 1982), ist Katharina Sieverding schon seit Ende der 1960er Jahre durch ihre spektakulären Porträtinszenierungen sowie durch die Großfotos bekannt geworden. Dieser völlig neue Umgang mit der Fotografie forderte die visuellen Industrien der Werbung und Medien heraus und forderte aus künstlerischer Perspektive eine durch Werbung und Medien in zunehmend industriellem Maßstab geprägten Politik der image power heraus und setzte sich mit der damit verbundenen Aufmerksamkeitsökonomie auseinander.

Regelrecht ikonisch wurden Sieverdings Bilder und Bildzyklen, die auf das Gesicht der Künstlerin fokussieren, etwa in den umfangreichen „MATON“- und „TRANSFORMER“-Serien Ende der 1960. Diese Serien sprengen das traditionelle Genre des Selbstporträts. Die Selbstdarstellung wird zwischen Starschnitt und Ikone stilisiert und – wie im „STAUFFENBERG-BLOCK“ (1969) – in offensiv auratischer Weise in Szene gesetzt und referenziell an Themenfelder wie Identitäts- und Genderkonstruktion oder die deutsche Geschichte angeschlossen. Zugleich begann Sieverding, im Vorgriff auf die Appropriation Art, mit angeeignetem Bildmaterial – z. B. Filmstills, found footage, Datenbanken, eigenen und gefundenen Dokumentations- und Archivfotos und direkt aus den Medien entnommenen Bildern – zu arbeiten.

Es ist also nur konsequent, wenn Sieverding ihre Arbeiten nicht nur in Ausstellungsräumen sondern auch im öffentlichen Raum und dort im Format des Großplakats präsentiert. Ihre kontroverse, auf 500 Plakatflächen im Großraum berlin realisierten Aktion „DEUTSCHLAND WIRD DEUTSCHER“ (1993) wurde als Reaktion auf die wachsende Zahl rechtsradikaler und rassistisch motivierter Anschläge im Zuge der Wiedervereinigung zum Politikum. Für ihr politisches Engagement bekannt, hat die Künstlerin wiederholt Plakataktionen zu verschiedenen Themen und Anlässen konzipiert, zuletzt als spektakulärer 200-Meter-Bildfries ihrer Arbeiten an der Außenfassade der Interimsspielstätte des Düsseldorfer Schauspielhauses 2018.

Hans-Jürgen Hafner

Wir freuen uns, dieses Projekt in Kooperation mit dem Bewerbungsbüro Kulturhauptstadt Europas 2025 der Stadt Nürnberg, unterstützt von der Stadtreklame Nürnberg und dank einer Förderung durch die Kulturstiftung der Sparkasse Nürnberg durchführen zu können. 

 

Flyer pdf

When Decisions Become Art

When Decisions Become Art
Selbstorganisation als Aktion und Reflexion

Einladung zu einem dreiwöchigen Live Programm im Kunstbunker
21.Oktober – 10.November 2019
Eröffnungsveranstaltung am Mittwoch 23. Oktober
Abschlussveranstaltung Freitag 08. und Samstag 09. November

In den ersten zwei Wochen geht es um Formen und Motivationen bei der Selbstorganisation.
Eine Auswahl an Nürnberger und internationalen Initiativen werden in Workshops als Diagramme skizziert und diskutiert, und als wachsende Ausstellung im Kunstbunker bleiben.
Selbtsorganisation ist nicht nur Mittel zum Zweck. Es ist auch Motto, Philosophie, Geschichte, Selbstverständnis und Politisch, und die dritte Woche ist Deklarationen und Proklamationen gewidmet. Fortlaufend: Publizieren, Organisieren, Ausprobieren, Kochen und sich Treffen. Das Programm mit allen Aktivitäten und Beteilgten wird im Kunstbunker fortlaufend aktualisiert werden.

For the Press Text in English scroll down.
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Der Kunstbunker steht während der Zeit als öffentlicher Raum zur Verfügung, um Modelle, Initiativen, Ideen zum Thema Selbstorganisation vorzustellen oder auszuprobieren.
Ideen und Fragen bitte e-mailen oder einfach vorbeikommen.

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Das Program (scroll down) wird auf der Webseite und vor Ort ständig aktualisiert werden, und auf Instagramm ankekündigt @decisonsbecomeart.

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Was und Wann?

Montag 21. Oktober:
10-18 Uhr: Einrichten / Moving in

Dienstag 22.Oktober:
10-18 Uhr: Einrichten / Moving in

Mittwoch 23.Oktober
11-13 Uhr: Pressetermin
14-17 Uhr: Public Mapping*: Jelängerjelieber
Eine öffentliche Gesprächsrunde mit dem kuratorischen Team, das 1995 die Ausstellung Jelängerjelieber im Kunstbunker organisiert hat. In einem Rückblick sollen die individuellen und gemeinsamen Motivationen des Selbstorganisierens betrachtet werden und reflektiert werden, wie es den je eigenen künstlerischen Werdegang beeinflusst und bestimmt hat.
Mit Susanne Bosch, Kathrin Böhm, Elke Haarer, Christina Jacoby und Matthias Klos.

19 – 22 Uhr Eröffnung, Suppe und Bar

Donnerstag 24. Oktober
16.30 -17.30 Präsentation Arte Útil Archive mit Alessandra Saviotti
16.00 – 20.00 Soundlab mit Susanne Dundler
17.00 -20.00 Gemeinsames kochen und essen

Freitag 25. Oktober
ab 18.00 Soundimprovisation mit Susanne Dundler

Samstag 26. Oktober
14.00-16.00 Soundlab mit Susanne Dundler
ab 16.30 Alles umsonst? Zur verzwickten Honorierung künstlerischer Arbeit

Podiumsdiskussion im Rahmen der Feier des 25-jährigen Bestehens des kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e.V. Teilnehmer*innen:

Thorsten Brehm, OB-Kandidat der SPD Nürnberg
Michael Hakimi, Künstler, Professor an der AdBK Nürnberg und Vorstandsmitglied im
kunstbunker e. V.
Milena Mercer, Kuratorin und derzeit kommissarische Leiterin des Kunstpalais Erlangen
Daniela Stöppel, Kunsthistorikerin, Vorstandsmitglied des Kunstraum München e. V.

Keynote: Heidi Sill, Künstlerin und Sprecherin des bbk berlin e.V.
Moderation: Michael Franz, Künstler und Vorstandsmitglied im kunstbunker e. V.

Sonntag 27. Oktober
ab 17.00 Offenes Treffen mit der Politbande
ab 18.00 Soundperformance mit Susanne Dundler

Mittwoch 30. Oktober
17.00 -19.00Uhr Public Mapping* mit N-Ort: Netzwerke und Verbündete

Donnerstag 31.Oktober
14.00 -16.00 Public Mapping* mit der Politbande
16.00 -18.00 DIY Publishing, Fanzine Workshop
18.00 – 20.00 Kochen und Essen mit Christine Bernhard

Freitag 1.November
14.00 -19.00 DIY Publishing Workshop mit Edizione Multicolore, Leipzig
16.00 – 20.00 Soundlab mit Susanne Dundler

Samstag 2.November
ab 18.00 Soundperformance mit Susanne Dundler

Sonntag 3. November
14.00 -17.00 Offenes Treffen

Mittwoch 6.November
15.00 – 18.00 Mentoring mit Judith Grobe und Gergana Todorova
ab 18.00 DAF STRUTTURA, Buchvorstellung und Event

Donnerstag 7. November
14.00 -17.00 Mapping and Declaring, DIY Publishing Workshop
18.00 – 20.00 Gemeinsames kochen und essen

Freitag 8. November
16.00 – 18.00 Deklarieren – Formulieren – Veröffentlichen, Fanzine Workshop
18.00 -20.00 Präsentation mit Kuba Szreder (Kurator/Kunsthistoriker, Warschau) und Gavin Wade (Künstler/Kurator, Eastside Projects, Birmingham)
anschließend Essen und Drinks

Samstag 9.November
14.00 – 16.00 Deklarieren, Formulieren, Veröffenlichen, Fanzine Workshop
16.00 -18.00 Präsentationen mit Grace Ndiritu (Künstlerin, Ghent) und Kathrin Böhm
anschließend Essen und Drinks

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Am Programm Beteiligte (inkl. vorbereitende Workshops)

Kunstbunker Team:
Silja Beck
Monique Haber
Veronika Haller
Lisa Konietzny

Vorstandsmitglieder:
Eva Raschpichler
Jim Broome
Michael Hakimi
Michael Franz
Hans-Jürgen Hafner

 

Elke Haarer
Judith Grobe
Gergana Todorova
DAF Dynaschie Akustische Forschung (Michael Akstaller) mit Rosa Anschütz und Gustavo Méndez
Kuba Szreder
Gavin Wade
Grace Ndiritu
Alessandra Saviotti/ Arte Útil
Stephen Wright
Susanne Dundler
Thorsten Brehm
Milena Mercer
Daniela Stöppel
Heidi Sill
N-Ort
Stadtlücken (Elli Schaumann)
Politbande
Fine Bieler und Dana Lorenz / Edizione Multicolore
Su Xia
Kristin Reimann
Petra Slottová
Clara Fieger
Samouil Stoyanov
Christine Bernhard, Überlingen
Paul Bießmann
Max Heimler
Veronica Burnuthian
Caroline d’Orville
Elena Speier
Stefanie Weigl
Susanne Karl
Regina Pemsl
Jonathan Pielmeier
Stephanie Walter
René Radomsky
Steffi Weigel
Elena Speier
Susanne Bosch

 

Workshops Sommer 2019:
Evelyn Kliesch
Maximilian Frohn
Rebecca Schwarzmeier
Rebecca Henkenhaf
Sandra Böhme
Katja Köditz
Carmen Westermeier
Simon Kellermann
Patricia Leon Torres
Steve Braun
Rebecca Prechter
Yanran Cao
Ronja Paffrath
Rory Witt
Jonathan Pielmeier

 

Design:
Sabrina Zeltner
Philipp Dittmar

 

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When Decisons Become Art wurde von der Künstlerin Kathrin Böhm initiiert, zum Anlass des 25jährigen Bestehens des Kunstbunkers.

Mit Unterstützung der zumikon Kulturstiftung, Centre for Plausible Economies, Kunst-Transfer- Praxis , Akademie der Bildenden Künste Nürnberg

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ENGLISH VERSION PRESS TEXT:

 When Decisions Become Art

Self-organisation through action and reflection: a three-week live programme at the kunstbunker – forum for contemporary art, in Nuremberg. Initiated by artist and co-founder Kathrin Böhm, on the occasion of the 25th anniversary of this artist-run space.

 

Launch event: Wednesday 23 October 6-9pm
Final events Friday 8 and Saturday 9 November, 6-8pm
with Gavin Wade, Kuba Szreder, Grace Ndiritu and Kathrin Böhm

To self-organise and make decisions is nothing new to artists. Artistic independence and autonomy are inherited concepts – defendable and questionable at the same time. But what does this independence actually mean when it comes to making decisions: about who art is for, why we make it, and who benefits from it? Each artist can decide how their work relates to others. Every decision supports or undermines existing conventions and systems – not always in an explicit or revolutionary manner – but steadily.

When Decisions Become Art is a loosely collective and self-organised public programme on the topic of self-determination and self-organisation in the art world. It will operate through a mixture of discursive, practical, social and propositional formats: including presentations, seminars, the mapping of local and international initiatives, cooking sessions and DIY publishing. The operational question of ‘how to organise’ will be expanded to a political one, by issuing a call to (re-)consider the desired relationship between art and society.

The different elements of the programme have been developed since May 2019, through a series of workshops and conversations between Kathrin Böhm and artists and students from the Academy of Fine Art in Nuremberg. For the duration of When Decisions Become Art the kunstbunker – itself the result of 25 years of artist led self-organisation – will become a public space and open platform to experiment. Suggestions and questions can be sent by e-mail, or introduced in person.

The evolving programme, and any new contributors, will be published on the kunstbunker website, or can be seen on Instagram @decisionsbecomeart

 

Lukas Quietzsch und Philipp Simon

Eröffnung: Freitag 14.6.2019, ab 19.00 Uhr

Lukas Quietzsch (*1985) und Philipp Simon (*1987) haben bis 2013 an der Kunsthochschule Berlin Weissensee studiert und treten sowohl mit ihrer jeweils individuellen künstlerischen Praxis (Quietzsch „Makel und Schimpf“ 2017 und Simon „Die dritte Person“ 2018, beide „Schiefe Zähne“ Berlin) als auch mit gemeinsamen Ausstellungsprojekten („Buffet der guten Zwecke“ Kunstverein Freiburg 2017) in Erscheinung. Darüberhinaus betreiben sie gemeinsam mit Monika Senz, seit 2014 den Ausstellungsraum „LISZT“ in Berlin. (http://lisztliszt.de/)

Das Verhältnis der dauerweihnachtlichen Stadtoberfläche Nürnbergs zum kunstbunker als historisches Sediment, nehmen Quietzsch und Simon zum Anlass im ehemaligen Luftschutzbunker weitere Schichten einzuziehen. In Beziehungen von davor und dahinter entwickeln sie Szenarien kultureller Konstruiertheit vor einer zeitlich konfusen Realität, die zunehmend an Konsistenz verliert und so die Frage nach der Behauptung unserer Perspektiven aufwirft.

 

Ich freue mich jedes Jahr, wenn die Bäume Ihre Blätter verlieren und es kälter wird schon auf den ersten Schnee, kann es kaum erwarten und sehne die Feiertage herbei. Auf meine Haut legt sich wieder diese kandierte Schicht, zwischen mich und meine Kindheit, zwischen die Wiedersehensfreude und die familiäre Wirklichkeit, eine Art therapeutische Hülle. Die Mutter ruft uns alle zu Tisch und eigentlich meine ich damit dieses Gefühl, dieses zusammen an einem Tisch sitzen und die Lust auf meine Familie, dieses ganze Konstruiert-Sein, diese Schicht zwischen ich und wir – klebrig wie Zucker. Daran klammere ich mich, obwohl ich damit hadere, weil es sich immer weiter verselbstständigt. Später im Gottesdienst, auf der Straße oder im Restaurant denke ich, es muss doch allen insgeheim klar sein.

Ich drifte. Ich meine, ich lebe in stratifizierten Räumen mit flächigen Eingängen. Ich bewege mich in diesen Räumen, in synthetischen Räumen, in Schichten artifizieller Ordnung. Und damit es immer und überall Schichten und Grenzen gibt, bin auch ich geschichtet.

Und begrenzt. [hier nimm] Ich nehme die nächste Harmlosigkeit und dabei stöpsel ich den Finger in den Bauchnabel, denn das einzige was zählt, ist die Erzählung. Es gibt halt Perspektiven die muss man sich leisten können. Aber insgesamt hat das wenig mit der Wirklichkeit zu tun und andererseits wird man sie nicht ganz los, sie klebt wie Harz. Also eine nächste Schicht, mein Bruder reicht mir den Brotkorb, die Hecke am Ende des Gartens und jede neue Auffassung unterstreicht dabei den Versatz zwischen mir und wir und ich drifte, während sich der Abstand weiter vergrößert, stehe ich auf der Grenze. Ab hier schwimmt alles in einem Brei von Perspektiven und Sichtweisen. [denke nicht negativ, sei unverzagt] Ich sollte mich ganz hingeben und ja sagen, das ist in Wirklichkeit viel schöner und harmonischer. Ich will im Zentrum meines Wohlbehagens sein, einem warmen Loch mit einem rauen und steilen Gang, der hinter mir nach oben führt – das ist meine Welt par excellence.

Besprechung von Elena Setzer bei KubaParis. Die Ausstellung bei Contemporary Art Daily und bei Art Viewer.

Öffentlicher Werkvortrag an der Akademie der bildenden Künste Nürnberg
Donnerstag, 4. Juli 2019 um 18 Uhr, Aula der Akademie

Ausstellungsansichten:

Heimo Zobernig

Eröffnung: Mittwoch 24.4.2019, ab 19.00 Uhr

Im kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V. ist eine retrospektive Auswahl  der Videos von Heimo Zobernig (Jg. 1958) zu sehen. Die Videos, eine Technik, mit der Zobernig seit 1981 immer wieder gearbeitet hat, haben sich im umfangreichen Oeuvre des Künstlers mittlerweile als eigene Werkgruppe etabliert.

Die ausgewählten Videos werden in einer vom Künstler vorgesehen Form präsentiert. Video ist, was die dafür notwendigen Geräte, die Technik und für deren Bedienung notwendigen Kenntnisse betrifft, relativ leicht verfügbar und günstig zu produzieren. Seit den 1980er Jahren hat es auch außerhalb der Kunst spezifische Produktionsweisen und Genres im Bereich des Dokumentarischen, des Journalismus und der Unterhaltungsindustrie, etwa das Musikvideo, hervorgebracht. Es ist außerdem ein wichtiger Zwischenschritt zu den heute gängigen, über Computernetzwerke verbreiteten Clip-Formaten und angeschlossene Rezeptionskulturen. Zobernigs Videos zeichnet ein grundsätzliches, medienanalytisches Interesse am Video aus, dessen Konjunktur in der Kunst der 1970er und 1980er Jahre freilich auch in der Kritik stand. Attackierte die US-amerikanische Kunsthistorikerin Rosalind E. Krauss an der Videokunst ihren Hang zur „Ästhetik des Narzissmus“, spiegelt sich in deren Geschichte die notorisch provokante, für die Entwicklung der modernen Kunst allerdings insgesamt zentrale Dialektik von de-skilling und re-skilling als die (selbst-)kritische Herausforderung von Könnerschaft und Kompetenz wider. Auch diese beiden Aspekte werden in Zobernigs Videoarbeiten kunstvoll ausgekostet.

Wir bedanken uns für die Unterstützung bei der Realisierung dieser Ausstellung bei der sammlung haubrok, Berlin und der zumikon Stiftung, Nürnberg.

Ausführlicher Text (pdf)

Bilder: Heimo Zobernig VIDEO
Installationsansichten, kunstbunker Nürnberg (25.4.-9.6.2019)
Fotos: Johannes Kersting
Courtesy: kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V.

NSK – Besetzt

(scroll down for English version)

Der kunstbunker freut sich in seinen Räumen die Ausstellung BESETZT präsentieren zu können. Die Ausstellung wurde organisiert und initiiert vom NSK Staat (vertreten durch das Kollektiv NSK Nürnbach-Laiberg), in Kooperation mit dem Z-Bau, dem kommkino und dem kunstbunker e. V. Nürnberg und dem Kusch e.V. Baiersdorf.

Hervorgegangen 1992 aus der Künstlerbewegung „Neue Slowenische Kunst“ (NSK), ist der NSK STAAT der erste globale Staat des bekannten Universums – er verzichtet bewusst auf territoriale Ausdehnung, sondern beansprucht die Zeit als sein Herrschaftsgebiet.
Einerseits funktioniert der NSK STAAT als soziale Skulptur (in Beuys‘ Sinne), ist aber auch eine Reflexion von/über Staatlichkeit, nationale/globale Identität sowie deren Leitideologien mit den drastischen Mitteln retro-avantgardistischer Prinzipien und Ästhetiken, mit denen er eine zwiespältig dystopisch-utopische Methode politisierter Kunst praktiziert.
Von den rund 15.000 weltweit existierenden BürgerInnen sind viele eigenständig aktiv in Kunst und Kultur, so auch in Deutschland und Franken. 
Die Ausstellung BESETZT zeigt Arbeiten der Gruppen NSK Nürnbach-Laiberg, NSK Lipsk, NSK Protektorat Drježdźany u.a., und ist Bestandteil des Veranstaltungsreigens „The Sound Of Politics“ anlässlich des Nürnberg-Konzerts der slowenischen Avantgarde-Band Laibach am 20. März im Z-Bau, Nürnberg.

Weitere Programmpunkte hier: http://nsk-nuernbach-laiberg.de

 

kunstbunker is happy to host the show BESETZT in its space. The show was organised and initiated by NSK State, in cooperation with Z-Bau, kommkino and kunstbunker e. V. Nürnberg and Kusch e.V. Baiersdorf.

Emerging out of the artist movement Neue Slowenische Kunst (NSK) in 1992, NSK STATE is the first global state in the known universe — and deliberately rejects territorial expansion, assuming time as its dominion instead. While functioning as a social sculpture (in Beuys‘ sense), NSK STATE is also a reflection on/of statehood, national/global identity and their guiding ideologies by means of stark retroavantgarde principles and aesthetics, practising an ambiguously dystopian/utopian method of politicised art.

Of the approximately 15.000 NSK citizens worldwide, many engage in arts and culture, also in Germany and Franconia.
The exhibition BESETZT („occupied“) displays works by the groups NSK Nürnbach-Laiberg, NSK Lipsk, NSK Protektorat Drježdźany and others, and is part of a series of events entitled „The Sound Of Politics“ accompanying Slovene avantgarde group Laibach’s performance at Nuremberg’s Z-Bau on March 20.

Event schedule and further information: http://nsk-nuernbach-laiberg.de

Herbert Achternbusch

Als Filmemacher, Schriftsteller, Dramatiker und bildender Künstler hat Herbert Achternbusch seit den 1960er Jahren ein umfangreiches und in seiner Art solitäres Werk vorgelegt. Material müsste also genug vorhanden sein. Dennoch ist die Angelegenheit irgendwie gespenstisch. Aus der öffentlichen Wahrnehmung ist er so gut wie verschwunden. Seine oft umstrittenen Filme – in den 1980er Jahren ein regelrechtes Politikum – sind schwer zugänglich, der Bühnenautor wird selten gespielt, der Maler nicht oft gezeigt.

Die Künstlerin Eva Raschpichler ist Mitorganisatorin des kunstbunkers. Sie hat sich auf das heutige München eingelassen, um der Sache mit dem Gespenst nachzugehen. Das Ergebnis ihrer Suche ist eine Ausstellung, in der Raschpichler zeigt, was sie kriegen konnte oder nicht.

! Bitte Zeiten beachten – Filmvorführungen !
Die Föhnforscher – Do bis Sa Start jeweils um 16.00 Uhr, So um 14.00 Uhr
Punch Drunk – Do bis Sa Start jeweils um 18.30 Uhr, So um 16.30 Uhr

Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
Samstag 20.10., 19.30 Uhr
Vortrag von Prof. Dr. Manfred Loimeier
„Neugeboren. Zur Wiederentdeckung des Werks von Herbert Achternbusch“

Freitag, 23.11., 19.30 Uhr
Festvortrag von Bert Rebhandl anlässlich des
80. Geburtstags von Herbert Achternbusch
„Der Achternbusch hält einfach drauf.“ Das sagt Herbert Achternbusch in seinem Film Punch Drunk über Herbert Achternbusch. Er spricht dabei in der Rolle des Kulturbeamten Riesenhuber, nimmt also die Position einer staatlichen Öffentlichkeit ein, mit der Achternbusch immer wieder Schwierigkeiten hatte. Der Vorwurf, „einfach drauf“ zu halten, lässt sich leicht in geläufige Sprache übersetzen: Was Herbert Achternbusch macht, ist keine Kunst. Dieser Vorwurf begleitet ihn seit vielen Jahren bei allen seinen Tätigkeiten: als Maler, als Autor, als Filmemacher, als Philosoph. Achternbusch zieht diesen Vorwurf auch ganz bewusst auf sich. Erst auf diese Weise wird sein Werk zu einem Großversuch eines Individuums mit den Systemen, in denen es lebt: Staat, Wetter/Klima, Körper, Geschichte, Religion.

Donnerstag 29.11., 20.00 Uhr
Thomas Witte liest Texte von Herbert Achternbusch
Die Lesung findet in Zusammenarbeit mit dem Gostner Hoftheater statt.

Besprechung Natalie Deligt, curt.de (externer link)

Besprechung Wolfgang Brauneis, Institut für Betrachtung (externer link)

Bilder:
Ausstellungsansichten
Fotos: Johannes Kersting

Anja Kirschner

Wir freuen uns, Sie zur Ausstellung „new genres” der in London lebenden Künstlerin Blaise Kirschner* im kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V. in Nürnberg einzuladen. Anlässlich dieser Ausstellung hat Kirschner eine neue zeitbasierte, interaktive Arbeit entwickelt, die sich ganz direkt auf Architektur und Geschichte des Bunkers, in dem die Ausstellung stattfindet, bezieht. Gerahmt von einer mehrteiligen Installation kann das Kernstück von „new genres“, ein Virtual-Reality-Video, über eine mobile Oculus Go Brille erlebt werden.

Blaise Kirschner (Jg. 1977) arbeitet als Künstlerin und Filmemacherin und hat seit 2003 auch in Kooperationen zahlreiche Filme und Videoinstallationen realisiert. Häufig macht sie in ihren Arbeiten Technologien und Produktionsweisen des Kinos und der Unterhaltungsindustrie explizit und thematisiert filmische Erzähl- und Darstellungsformen – immer auf Grundlage umfangreicher historischer und theoretischer Recherchen.

2016 hat die Künstlerin ihren ersten Langfilm „Moderation” vorgestellt. Er handelt von der – im Fortgang der Handlung zunehmend unrealisierbar werdenden – Produktion eines Horrorfilms. Zugleich werden dabei die Grenzen zwischen verschiedenen medial und filmisch hergestellten Realitäten sowie zur Wirklichkeit jenseits des Films brüchig. Darüber entwickelt sich „Moderation“ zu einer filmischen, theoretischen und historischen Reflexion über das seit der Frühzeit des Kinos populäre Genre ‚Horror’.

Für „new genres“ hat Blaise Kirschner unter anderem die Geschichte des heute als Ausstellungsort genutzten kunstbunker sowie seiner Umgebung recherchiert. Der ehemalige Schutzbunker wurde 1940/1941 unter dem Bauhof eingerichtet und bot 485 Schutzplätze.

Begleittext von Blaise Kirschner und Kerstin Stakemeier (pdf)

*in ursprünglicher Fassung stand hier Anja Kirschner, nach einer Namensänderung haben wir den Text 2024 angepasst