Die Ausstellung KUNSTBUNKER NÜRNBERG 2020 von Katharina Sieverding im öffentlichen Raum war ursprünglich dafür gedacht die Aktivitäten des kunstbunker – forum für zeitgenössische kunst e. V. für ein breiteres Publikum sichtbar zu machen. Normalerweise finden die Ausstellungen und Veranstaltungen, die der kunstbunker als Initiative von Künstler*innen und Kulturschaffenden in Eigenregie durchführt, nämlich in einem ehemaligen unterirdischen Schutzbunker in der Nürnberger Innenstadt statt. Das setzt die Bereitschaft der Besucherinnen und Besucher voraus, diesen verborgenen Ort erst einmal zu finden. Durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie hat das Projekt nun allerdings eine zusätzliche Dimension bekommen, indem es die unmittelbare Begegnung mit Kunst unter erschwerten Bedingungen ermöglicht – so lange an einen geregelten Ausstellungsbetrieb, normalen Publikumsverkehr nicht zu denken ist.
Entsprechend ist KUNSTBUNKER NÜRNBERG 2020 als Ausstellung konzipiert, die einerseits einen Einblick in die künstlerische Arbeit von Katharina Sieverding geben will und zum anderen die situative Präsentation ihrer Arbeiten im öffentlichen Raum gerade mit Blick auf die aktuellen Gegebenheiten – den sozialen, kulturellen und ökonomischen Ausnahmezustand – mitbedenkt. Von 5. bis 25. Mai sind an 72 Standorten im Nürnberger Stadtgebiet insgesamt sechs Bilder der Künstlerin auf großformatigen Werbeflächen zu sehen. Diese Bilder aus einem Zeitraum von 1979 bis heute reihen sich kommentarlos in ein Bildprogramm ein, das üblicherweise von den Codes der Werbung dominiert ist und dabei ganz klar kommerziellen Interessen folgt.
Die sechs in Nürnberg gezeigten Bilder stammen aus einem Zeitraum von 1979 bis heute und wurden für die Präsentation als Großplakat adaptiert. Sieverding selbst beschreibt ihre Arbeit als „Aktualisierung von Gedächtnisbildern“ – ein Aspekt, der sich auch in der aktuellen Werkauswahl widerspiegelt.
Die Arbeit „OTIII/2020 (Nürnberg)“ (2020) wurde neu und eigens für die Präsentation in Nürnberg entwickelt. Das Motiv besteht aus der Montage zweier Fotografien: einem aktuellen von Sieverding aufgenommenen Dokumentationsfoto von Kuppel und Eckturm des Berliner Reichstagsgebäudes, gekrönt von der Europaflagge, das mit einer Archivaufnahme des Lichtdoms von Albert Speer überblendet ist. Von Hitler 1933 zur „Stadt der Reichsparteitage“ bestimmt, war Nürnberg bereits 1927 und 1929 zweimal Austragungsort der Parteitage der NSDAP. 1930 und 1931 konnten die für maximalen propagandistischen Effekt ausgeschlachteten Parteitreffen von der sozialliberalen Stadtführung verhindert werden. Von 1933 bis zum Kriegsbeginn 1939 wurden dann allerdings sechs Reichsparteitage auf dem von Speer dafür umfassend neu gestalteten Gelände durchgeführt.
„GLOBAL DESIRE II“ (2017) folgt ebenfalls dem Prinzip der Überblendung. Nur schemenhaft sind Techniker auszumachen, die einen russischen Kampfbomber zur Bekämpfung der Rebellen in Syrien vorbereiten. Formatfüllend hinterlegt findet sich eine Luftaufnahme von Zaatari im Norden Jordaniens, eines der größten Flüchtlingslager weltweit, das auf den Bürgerkrieg in Syrien zurückzuführen ist. Seit 2012 haben sich dort knapp 80.000 Menschen angesiedelt. Eine frühere Fassung der Arbeit, die 2017 in Düsseldorf plakatiert wurde, war mit einem Zitat des Literaturwissenschaftlers und Theoretikers des Orientalismus Edward Said „Am Falschen Ort“ überschrieben.
Das spektakuläre Motiv einer blauen Sonne im Zentrum von „DIE SONNE UM MITTERNACHT SCHAUEN SDO/NASA (Blue)“ (2010-2015) lässt sich auf eine Digitalanimation zurückführen, die Sieverding aus rund 200.000 auf NASA-Daten basierenden Einzelbildern entwickelt hat. Die Animation wurde zur Grundlage für zwei Filme, die als komprimierte Zeitbilder die Möglichkeit suggerieren, die Sonne durch das Erdinnere hindurch zu beobachten. Bei der präsentierten Fassung handelt es sich um ein Standbild aus der Animation.
Bereits 2005 wurde die Arbeit „DIE PLEITE“ (2005) anlässlich der Ausstellung CLOSE UP der KW Institute for Contemporary Art im öffentlichen Raum in Berlin plakatiert. Sie bezieht sich auf die gleichnamige, vom Januar 1919 an im Malik-Verlag von Wieland Herzfelde erscheinende Zeitschrift, die zu den wichtigsten Veröffentlichungen im Umfeld des Berliner DADA in den frühen Jahren der Weimarer Republik zählt. Im Spannungsfeld von Kunst und politischem Aktivismus trugen Künstler wie George Grosz und John Heartfield zum politisch und ästhetisch gleichermaßen provokanten Profil der Zeitschrift bei. In Sieverdings Arbeit ist der Zeitungstitel mit dem Motiv einer Sonnenfinsternis überblendet und weist zudem eine grobe Rasterung auf.
Das 1997 entstandene „STEIGBILD IX“ überblendet die gefundene Aufnahme der Verbrennung von Tierkadavern – Rinder, die an BSE, dem so genannten Rinderwahnsinn erkrankt waren und massenhaft geschlachtet werden mussten –, mit einem Ausschnitt aus der Sequenz eines menschlichen Genoms, die als zeichenhaft-abstrakter Pattern das gesamte Bildformat überzieht.
Die älteste Arbeit, das „WE HAVE FRIENDS ALL OVER THE WORLD“, (1979) mit seinem prominent ins Bild gesetzten Motto die Aufnahme von chinesischen Soldaten beim Morgensport, die Sieverding bei einem Aufenthalt in Beijing 1978 fotografiert hat, mit einem Schriftbanner aus dem einzigen, für ausländische Diplomaten geöffneten Hotel der Stadt, von dem das Motto herrührt. Ende 1978 hatte Deng Xiaoping in der Nachfolge Mao Zedongs die politische Führung der Volksrepublik China übernommen und mit seinem radikal wirtschaftspragmatischen Kurs den Grundstock für die wirtschaftliche Expansion Chinas zur nunmehr global agierenden Supermacht gelegt. Auch hier löst sich Sieverdings Anspruch ein mit ihrer Arbeit zur Aktualisierung von Gedächtnisbildern beizutragen, indem sie ein mehr als vierzig Jahre zurückliegendes persönliches Erlebnis vergegenwärtigt.
Mit ihrem umfangreichen Werk gehört Katharina Sieverding (Jg. 1944) zu den bekanntesten deutschen Künstlerinnen der Gegenwart. Sie gilt zu Recht als Pionierin, was die Verwendung des Fotografischen im Rahmen künstlerischen Arbeitens betrifft.
Fotografie zu benutzen, heißt gerade in ihrem Fall sehr viel mehr, als einfach nur fotografische Bilder herzustellen. Fotografie in der bildenden Kunst zu verwenden, kann in vielfältiger Weise geschehen und hängt mit der Entgrenzung von Medien und Genres ebenso zusammen wie mit der umfassenden Konzeptualisierung, die die Kunst seit den 1960er Jahren erfahren hat. Diese hatte grundsätzlichen Einfluss auf die künstlerischen Produktions-, Präsentations- und Vermittlungsweisen und bestimmt seitdem das Spektrum dessen, was Kunst heute sein und wie sie sich darstellen kann bzw. wie wir sie wahrnehmen.
Vertreterin Deutschlands bei der Biennale von Venedig (1997) und dreimalige Documenta-Teilnehmerin (1972, 1977 und 1982), ist Katharina Sieverding schon seit Ende der 1960er Jahre durch ihre spektakulären Porträtinszenierungen sowie durch die Großfotos bekannt geworden. Dieser völlig neue Umgang mit der Fotografie forderte die visuellen Industrien der Werbung und Medien heraus und forderte aus künstlerischer Perspektive eine durch Werbung und Medien in zunehmend industriellem Maßstab geprägten Politik der image power heraus und setzte sich mit der damit verbundenen Aufmerksamkeitsökonomie auseinander.
Regelrecht ikonisch wurden Sieverdings Bilder und Bildzyklen, die auf das Gesicht der Künstlerin fokussieren, etwa in den umfangreichen „MATON“- und „TRANSFORMER“-Serien Ende der 1960. Diese Serien sprengen das traditionelle Genre des Selbstporträts. Die Selbstdarstellung wird zwischen Starschnitt und Ikone stilisiert und – wie im „STAUFFENBERG-BLOCK“ (1969) – in offensiv auratischer Weise in Szene gesetzt und referenziell an Themenfelder wie Identitäts- und Genderkonstruktion oder die deutsche Geschichte angeschlossen. Zugleich begann Sieverding, im Vorgriff auf die Appropriation Art, mit angeeignetem Bildmaterial – z. B. Filmstills, found footage, Datenbanken, eigenen und gefundenen Dokumentations- und Archivfotos und direkt aus den Medien entnommenen Bildern – zu arbeiten.
Es ist also nur konsequent, wenn Sieverding ihre Arbeiten nicht nur in Ausstellungsräumen sondern auch im öffentlichen Raum und dort im Format des Großplakats präsentiert. Ihre kontroverse, auf 500 Plakatflächen im Großraum berlin realisierten Aktion „DEUTSCHLAND WIRD DEUTSCHER“ (1993) wurde als Reaktion auf die wachsende Zahl rechtsradikaler und rassistisch motivierter Anschläge im Zuge der Wiedervereinigung zum Politikum. Für ihr politisches Engagement bekannt, hat die Künstlerin wiederholt Plakataktionen zu verschiedenen Themen und Anlässen konzipiert, zuletzt als spektakulärer 200-Meter-Bildfries ihrer Arbeiten an der Außenfassade der Interimsspielstätte des Düsseldorfer Schauspielhauses 2018.
Hans-Jürgen Hafner
Wir freuen uns, dieses Projekt in Kooperation mit dem Bewerbungsbüro Kulturhauptstadt Europas 2025 der Stadt Nürnberg, unterstützt von der Stadtreklame Nürnberg und dank einer Förderung durch die Kulturstiftung der Sparkasse Nürnberg durchführen zu können.