Jelängerjelieber

Ein Ausstellungsprojekt, organisiert von Kathrin Böhm, Susanne Bosch, Elke Haarer, Matthias Klos, Christina Oberbauer

mit Stefan Mayer, Alex Trespi, Penko Stoitschev & Gerhard Behles, Christine Bernhard, Olav Westphalen, Wapke Feenstra

Während der Ausstellungsdauer sind eine Bibliothek und eine Cafeteria eingerichtet.

Roland Fischer – Photographie

Norbert Bauer im Gespräch mit Roland Fischer kunstbunker, am 24. September 1995

Norbert Bauer: Sie haben sich sehr früh und sehr konsequent für das Medium Fotografie als Ihre künstlerische Sprache entschieden. Sie haben ferner für sich von Anfang an genauso konsequent das Portrait gewählt. Wie kam es dazu?

Roland Fischer: Die Form des Portraits hatte sich damals mehr oder weniger aus meinen fotografischen Arbeiten herausgeschält. Ich habe dann zwischen 1979 und 1982 eine Serie von s/w-Portraits gemacht, von ganz unbekannten Leuten und sehr bekannten Persönlichkeiten bis hin zum Kaiser von Japan, den ich 1982 in Tokyo fotografiert habe. Diese Reihe von Gesichtern war ein erster Versuch, über das Portrait eine Art bildliche Abstraktion zu erreichen, zunächst jedoch ohne irgendwelche besonderen Einflußnahmen, d.h. jeder wurde aus etwa der gleichen Perspektive aufgenommen, der jeweilige Raum oder Hintergrund belassen. Der großformatige Abzug ergab sich dabei ganz natürlich, um zum Bildlichen zu kommen.

N.B.: Das Gesicht wird gerne als Metapher für das zu Erkennende in der Kunst genannt, für die Erfahrbarkeit von Erfahrung und von Authentizität, ich zitiere da Tilman Osterwold.
Sie sprechen von Ihren Portraits als konzeptionellen Arbeiten. Warum haben sie zum Beispiel Nonnen und Mönche gewählt, die so starke Bilder in uns hervorrufen und welche Rolle spielen dabei die Abstraktion, Ihre konzeptionellen Gedanken?

R.F.: Am Anfang jeder Arbeit steht bei mir eine formale Bildidee. Meine Vorstellung war jetzt, daß das Gesicht isoliert, eingerahmt sein sollte. Bei den Nonnen und Mönchen konnte ich auf eine bereits vorhandene Reduktion zugreifen, nämlich die schwarzen und weißen Flächen des Ordensgewands, die ich bei den Zisterziensern vorfand. Bildmassen, die sich frei „verschieben“ ließen. Mir schien das nicht nur vom Visuellen her ein geradezu prädestiniertes Sujet für die fotografisch- bildliche Umsetzung zu sein, sondern auch inhaltlich, denn der monastische Alltag bedient sich ja auch einer strengen Regelung und Formalisierung bis hin zur räumlichen Konzeption einer Klosteranlage, mit dem Ziel ’soweit das möglich ist‘ zu einer inneren Freiheit zu gelangen und das Materielle zu abstrahieren, also letztlich etwas, das auch in der Kunst eine Rolle spielt. Hier kam für mich auch ganz logisch die erste Farbe ins Spiel, nämlich der Hautton, während der Rest ja überwiegend im Schwarz-Weißen verbleibt.
Bei den „LOS ANGELES PORTRAITS“ bin ich dann in Richtung Reduktion noch einen Schritt weiter gegangen. Dort sollte die menschliche Büste in eine monochrome Fläche eingebunden sein, wodurch sich der Kontrast zwischen zwei ganz disparaten Formprinzipien, einem je nach dem monochromen Blau bzw. Schwarz, d.h. einer Fläche, die schon fast mathematischen Charakter hat, und der natürlichen, kontingenten Form des menschlichen Gesichts, noch erhöhen ließ. Das Spannungsverhältnis von Form und Freiheit, das dabei entsteht, ist mir sehr wichtig.

N.B.: Das Portrait hat eine sehr lange Geschichte und löst heute für mich sehr ambivalente Gefühle aus. Auf der einen Seite gibt es die extreme Entäußerung (Vermarktung), z.B. in Personalityshows, und auf der anderen Seite, quasi genauso extrem, die völlige Verweigerung von Offentlichkeit, der völlige Schutz des Privaten. Was bedeutet für Sie persönlich und für Ihre Arbeit die extreme Mediatisierung des Individuellen?

R.F.: Dazu möchte ich vielleicht zunächst einmal sagen, daß mich das „Abbildende“, also dokumentarische, reportagehafte usw. am Medium Fotografie am wenigsten interessiert. Das ist natürlich mit Fotografie möglich, aber das machen andere. Mir geht es ausschließlich ums Bild. Ich habe auch schon öfter gesagt, daß diejenigen meiner Bilder, in denen das menschliche Gesicht vorkommt, eigentlich nur zur Hälfte „Portraits“ sind, denn das Gesicht nimmt ja nur ungefähr die halbe Bildfläche ein; die andere Hälfte ist mir aber genauso wichtig. Insofern geht es mir auch nicht darum, zu zeigen, wie viele verschiedene Individuen es gibt, sondern eher zu fragen: Was ist das, das Individuelle.

N.B.: Die Portraits haben eine ungeheure Präsenz, gerade auch hier im kunstbunker und erzeugen dadurch wiederum eine große Distanz zu den Portraitierten selbst. Wenn man nun diesen Bildern gegenüber-steht, mit ihren formalen, abstrakten Elementen, dem Gesicht als Spiegel unseres Selbst, wird dieses uralte Spiel von Aktion und Reaktion ausgelöst und es kommt über das Bild zu einer starken Wechselwirkung und Kommunikation mit einem selbst.

R.F.: Ich glaube, dazu ist es wichtig, zu überlegen, wie Bilder gelesen werden. Meiner Meinung nach erschließt sich bei Bildwerken der Inhalt über die Form, obwohl beides gleichzeitig da ist. Was ist eigentlich Form? Es scheint doch so, daß Form mit dem Visuellen eng verbunden ist. Und wenn man diese Beziehung weiter analysiert, kann man vielleicht sagen, daß Sehen und Form letztlich synonym sind, daß also Form aus ganzheitlichem Sehen entspringt. Diese Art von Wechselwirkung und Kommunikation, wie Sie sagen, würde ich mit „visuellem Denken“ umschreiben.

N.B.: Ich möchte noch einmal auf den Inhalt Ihrer Arbeit eingehen. Die Bilder sind durch Ihre Konzeption sehr stark formalisiert und heben dadurch das Gesicht, das Lebendige, wie Sie selbst sagen, besonders hervor. Das Konzeptionelle ist sehr sehr stark. Alle Gesichter sind sehr gefaßt, man kann auch sagen: einer starken Ordnung unterworfen. Dadurch werden natürlich weitere Bilder in uns hervorgerufen. Inwieweit ist dieses Verhältnis, diese innere Welt – äußere Welt, diese innere und äußere Wirklichkeit, diese Suche nach Ordnung, in Ihrer Arbeit auch für sie selbst wichtig?

R.F.: Der Mensch steht für mich zwischen Freiheit und Bestimmung. Analog dazu interessiert mich auf bildlicher Ebene ein ähnliches Spannungsverhältnis zwischen, wie ich vorhin schon gesagt habe, Freiheit und Form, Freiheit und Eingebundensein. Dieses Wechselverhältnis sehe ich jedoch nicht als etwas Dualistisches, sondern als etwas Dia-logisches. Infolgedessen ist für mich der Begriff der Transparenz sehr entscheidend, also wie sich die beiden Prinzipien ineinanderlegen. Wir sind ja nicht nur Materie, nicht nur Idee. Vielleicht haben Bilder hier eine wichtige Funktion: man kann auf ihnen Gegensätze, komplexe Zusammenhänge, Innen und Außen als Ganzes erfassen.