Die Loveparade 2002 in drei Einstellungen
INTRO
Freitag Abend, Breitscheidplatz. Jemand tanzt wie ein Gummiball. Andere kommen vorbei und tanzen mit.
GABBA
Unter dem Druck von 196 bpm wird aus einer Dönerbude ein Ort der heiligen Raserei.
HELL AT WORK
Montag Morgen im alten WMF. Es ist Gigolo-Night und DJ Hell legt auf. Die meisten Gäste feiern bereits seit Tagen. Am Ende sind alle bereit für Marilyn Mansons ‚Tainted Love‘ …
Romuald Karmakar dokumentiert in 196 BPM das Geschehen an drei Nebenschauplätzen der Berliner Love Parade 2002. Die drei unkommentierten, dialogfreien und mit Mini-DV jeweils in einer Einstellung gedrehten Teile des Films geben den Originalton wieder, der hauptsächlich aus Musik und wenigen Gesprächs- und Wortfetzen besteht. Anders als die üblichen Dokumentationen über die Love Parade, in denen über Besucherzahlen, Drogenmissbrauch, Verunreinigung der Stadt, Ruhestörung etc. berichtet wird, versammelt Karmakars Film Impressionen der verschiedenen musikalischen Stilrichtungen innerhalb des schwierig zu definierenden ‚Techno‘-Begriffs; die Musik, die Tänzer, die Orte und ein DJ stehen hier im Vordergrund.
Der erste Teil des Films zeigt den Bereich vor der Eingangstür des Clubs ‚Linientreu‘. Mit Lautsprechern wird Musik aus dem Innern auf die Straße übertragen. Ein junger Mann tanzt wie ein Gummiball, Menschen laufen vorüber, tanzen mit.
Der zweite Teil führt den Betrachter an den Breitscheid-Platz, wo in einem umgeräumten Döner-Imbiss ein Pult aufgebaut ist. Draußen wird unter dem Druck von 196 BPM wild getanzt.
Der dritte Teil beobachtet – ebenfalls in einer einzigen Einstellung, die nur einmal unterbrochen wird von einem 350-Grad-Schwenk – DJ Hell bei der Arbeit. Es ist Gigolo-Night im alten ‚WMF‘, einem legendären Berliner Club, und die meisten Gäste feiern bereits seit Tagen. In rotes Licht und Stroboskop-Effekte getaucht, legt der 1962 als Helmut Josef Geier geborene Münchner DJ unter anderem Coverversionen von Depeche Modes ‚Behind the Wheel‘ und Soft Cells ‚Tainted Love‘ auf – Stücke, deren Originalversionen er in den achtziger Jahren hörte, die aber sein heutiges Publikum zum großen Teil nur noch in den neu gemischten Fassungen kennt.
– Tanja Horstmann, Katalog Berlinale 2003 (Forum)
Im Anschluss an den Film Gespräch mit Romuald Karmakar. Moderation: Michael Franz
Zur Person:
Romuald Karmakar, geboren 1965, ist Drehbuchautor und Regisseur, er dreht sowohl Dokumentar- als auch Spielfilme. Zu seinen bekanntesten Werken gehören ‚Der Totmacher‘, ‚Manila‘, ‚Die Nacht singt ihre Lieder‘, ‚Das Himmler-Projekt‘, ‚Hamburger Lektionen‘ und ‚Villalobos‘. Seine Filme wurden auf zahlreichen internationalen Filmfestivals ausgezeichnet und in mehreren Retrospektiven präsentiert unter anderem im Österreichischen Filmmuseum, Wien und bei Cinéma du Réel, Paris.
2013 hat Karmakar zusammen mit Ai Weiwei, Santu Mofokeng und Dayanita Singh Deutschland auf der 55. Kunstbiennale in Venedig vertreten, 2017 nahm er an der documenta 14 teil. Sein neuestes Werk ‚The Invisible Zoo‘, ein abendfüllender Dokumentarfilm über den Zoo Zürich, einen der führenden zoologischen Gärten Europas, hatte auf der Berlinale 2024 im Forum Weltpremiere.
196 BPM
Deutschland 2002, 62 Min
Cast: DJ Hell
Regie, Kamera, Produzent: Romuald Karmakar
Schnitt: Uwe Klimmeck
Produktion: Pantera Film GmbH
Bild/Ton: Mini-DV/Digi Beta, Farbe, 4:3, Stereo