Thomas Rudolph / Maßnahmen / 29.5. - 13.6.1999

Subversive Horizonte
/ you’re innocent when you dream /

Thoma Rudolphs „Maßnahmen‘ im Kunstbunker Nürnberg

·und er nahm einen von den Steinen der Stätte, tat ihn unter sein Haupt und fegte sich an die­ ser Stätte schlafen. Da träumte ihm, eine Leiter sei auf die Erde gesteift, die mit der Spitze an den Himmel rührte, und die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.·
(Der Traum von Bethef. Genesis 28, 10)

1. Vertikale Träume

Mit seiner irdischen Gebundenheit hat sich der Mensch noch nie gern abge­ funden. Sein Wunsch, den Abstand zwischen Himmel und Erde zu verringern, ist so alt wie die Geschichte des Abendlandes. Während das Alte Testament die darin enthaltene Selbstvergöttlichungsphantasie diskret verschweigt (Jakob genügt es noch, wenn der Himmel auf Erden kommt), werden sich die Baumeister im Lauf der Jahrhunderte konkreter an die Realisierung jener Utopie begeben. Denn: Selbst wird der Mensch. Und: er will hoch hinaus.

Die Zielrichtung verläuft entlang des Dualismus abendländischen Denkens: von unten (gerade-wegs) nach oben. Der Okzident träumt vertikal (wengleich ihn diese Tätigkeit, rein physiologisch betrachtet, in die Horizontale zwingt). Das architektonische Surrogat dieser Sehnsucht ist im ersten Buch Mose bereits angedacht: der Stein, welcher Jakob als Ruhekissen dient, wird zum Grundstein eines Gotteshauses. Die Geburt der Senkrechten aus dem Geist des Monotheismus.

II. Nantes, Nürnberg, New York

Was künftig in den Himmel ragt, ist die irdische Spitze eines Eisbergs, dessen ideelle Sedimente in den Tiefenschichten des Okzidents lagern.

Die Geschlechtertürme von San Gimignano sind frühe profan-patriarchale Varianten der Himmelsleiter. Zunächst bleibt die bauliche Manifestation abendländischen Denkens eher dem Bereich des Sakralen vorbehalten (wehe dir, Babel!). Kirchturmpaare verlängern die Silhouette mittelalterlicher Städte. Parallel zur Bauhöhe geht man ins Detail: der gotische Vertikalismus entwirft eine Unzahl von Pfeilern und Stützen. Die Kathedrale wird zum perfekten Sym­ bol senkrechten Strebens. Ihr säkulares Pendant tritt erst spät auf den Plan.Ende des letzten Jahrhunderts schraubt sich ein Hochhaus als stählerne Lei­ter ins Firmament. Manhattan ist nicht Bethel. Jahn grüßt Jakob.

III. Raumordnung / All-Macht

Wer schläft, sündigt nicht. Jakobs unbewußte Bilder werden für das Abend­ land imaginäres plus architektonisches Allgemeingut. Zugleich sind sie selbst Teil einer Diskursproduktion, welche die Achsen okzidentaler Logik antithe­ tisch formuliert und in ein hierarchisches Verhältnis zueinander setzt.
Oben-unten. Tags-nachts. Geistig-materiell. Nächtliche Visionen fallen bekanntlich nicht unter die Frage von Urheberrecht oder Schuld.
Der tägliche Griff nach den Sternen strukturiert mit der Zeit die Welt.
Die Erdoberfläche wächst ins All. Die Vertikale hat das Sichtbare geordnet: Räume, Dinge und Körper. Entlang ihrer Geraden verlaufen die gesellschaft liehen und politischen Kräfteverhältnisse. Macht gerinnt zu Architektur, wird eine Frage der Raumverteilung. Nutzbare Außenräume formen fortan das Innen. Dem abendländischen Menschen wird sein Platz zugewiesen.Er träumte sich mächtig. Aber der Stein läßt ihm keine Ruhe mehr.

IV. X-Achse: unterirdisch, bewußt

Jetztzeit. Nürnberg. Unter der Erde. Ein Bunker ist eine große flache Schachtel, eher breit als hoch. Nichts Herausragendes. Nichts zum Träumen. Die sich einst in ihm aufhielten, schliefen nicht ruhig. Die ihn heute betreten, spüren, daß nicht alles Gute von oben kommt. Das Denken bewegt sich vor und zurück. Ein Lagerraum für Geschichte. Alles auf einer Etage. Fensterlos zwingt er zur Aussicht nach innen. Historisch und architektonisch unbeabsichtigt entwickelt sich hier eine Karthographie der Horizontalen.
Der Raum provoziert zur Gegenplazierung. Keine zufällige Achsverschiebung sondern gezielte Maßnahmen. Lokale Orthopädien erweitern Horizonte.
Wer an Kathedralen denkt, muß sie dekonstruieren. Wer Leitern errichtet, bringt sie zum Erliegen. Doch wer durch ihre Sprossen blickt, stellt Welt auf den Kopf.

Tine Neumann , Mai 1999

Flusser
Foucault
Mose
von Braun
Waits

 


Foto: Eduard Weigert

Top

Do-Sa 16-20 Uhr
So 14-18 Uhr und
nach Vereinbarung
(bei laufender Ausstellung)
Am Bauhof 9
90402 Nürnberg
Newsletter
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner