Edith Deyerling, Stefan Hayn, Miriam Visaczki / Gestern, heute, morgen / 1.5. - 12.6.2022

„Gestern, heute, morgen“ stellt als Reihung von drei Temporaladverbien auf einfache Art ein Zeitkonzept dar: den linear fortschreitenden Verlauf von Zeit. Die dieser Vorstellung entsprechende Wahrnehmung von Zeitlichkeit ist in den letzten Jahren, unter anderem im Zusammenhang mit der Digitalisierung und unter dem Eindruck der Pandemie, häufig in Frage gestellt worden. Dabei sind stark von diesem Konzept abweichende subjektive Formen des Erfahrens von Zeitlichkeit – vor allem in ihrer metaphorischen Überhöhung seit jeher bekannt: Die Zeit steht still, es dauert eine Ewigkeit … Die Art und Weise, in der Vergangenes auf individueller, gesellschaftlicher und politischer Ebene Ereignisse in der Gegenwart (mit-)bestimmt und die Frage nach den verbleibenden Möglichkeiten der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft aufwirft, betont jedoch die unerbittliche Zwangsläufigkeit des oben angedeuteten Zusammenhangs.

Die Frage der Zeitlichkeit ist sowohl bei der Herstellung als auch bei Rezeption und Vermittlung künstlerischer Hervorbringungen jeder Art ein wesentlicher Faktor: Wie lange dauert es, etwas zu machen, wie lange, das Gemachte ganz oder in Teilen zu erfassen und vielleicht auch noch darüber nachzudenken? Ab wann und für wie lange wird es interessant/relevant bleiben? Welche Rolle spielt Zeit in all ihren möglichen Implikationen auf der inhaltlichen Ebene der jeweiligen Arbeit? In welchem Verhältnis steht das, was ich mache/sehe zur so genannten Gegenwart bzw. zu dem, was (Kunst-)Geschichte sein wird? Und wohin kann es vom erreichten Punkt aus gehen?

Die beiden Filme „Malerei heute“ von Stefan Hayn und „Waldmünchen – 750 und 12 Jahre“ von Miriam Visaczki und die Bilder von Edith Deyerling gehen (zwangsläufig) mit diesen Fragen um – als Werke jeweils für sich, in ihren Titeln, ihren Themen und ihrer Machart. Sie verbinden sich über diese Ebene und bieten Ansatzpunkte für Assoziationen, Vergleiche und Differenzierungen auch neben dem Augenfälligen.

Die Kombination der auf den ersten Blick enigmatischen Malereien mit den beiden scheinbar rein dokumentarischen Filmen, die von verschiedenen Orten in Deutschland zu verschiedenen Zeiten erzählen, könnte Fragen nach der Art aufrufen, wie sich individuelle und allgemeine Geschichte unterscheiden und überlagern, in welchen Formen Erinnerung und Reflexion überhaupt dargestellt und verhandelt werden können und schließlich danach, wie es davon ausgehend denn morgen eigentlich weitergehen könnte …

 

Edith Deyerling
Zu sehen ist eine Gruppe von zwölf Malereien aus den Jahren 2012 bis 2022. Alle sind auf eher „klassische“ Art gemalt, in- Öl- und Acrylfarbe auf gespannter Leinwand. Alle Bilder haben mittlere Größen, zum Teil in beinahe extremen Hoch- und Querformaten. Die Formen, Muster, Striche und Chiffren auf den ungegenständlich gemalten Bildern unterscheiden sich von der bekannten modernistischen Abstraktion, mit ihrem Universalitätsanspruch. Sie erinnern an persönliche Aufzeichnungen und suggerieren konkrete individuelle Bedeutungen. Die Bildtitel („S.“, „Augenstern“, „Vaccinated“ usw.) wirken dabei wie Andeutungen, kryptische Kürzel, mögliche Schlüssel zum Verständnis dessen, was auf der Bildfläche zu sehen ist. Vielleicht dienen sie auch nur als Gedächtnisstütze für diejenige, die die Bilder gemacht hat.
Die Übersetzung von Erfahrung – von Erlebtem, Erinnertem, (Aus-)Gedachtem – in idiosynkratische Systeme der Repräsentation verleiht den Bildern eine überraschende narrative Ebene, zwar in einer unbekannten Sprache, deren Verständnis man sich aber trotzdem annähern kann.

Edith Deyerling, geboren 1980 in Weiden, Studium der Malerei und Absolventin der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Ausstellungen zuletzt unter anderem bei Galerie Meyer Kainer (Boltensternraum) Wien, Walks News Berlin, Christian Andersen Kopenhagen.

 

Malerei heute / Stefan Hayn
Die filmisch-malerische Langzeitdokumentation setzt zu einem Zeitpunkt an, als im wiedervereinigten Deutschland Veränderungen der Arbeits- und Lebensverhältnisse offensichtlich und – durch den Regierungswechsel von Kohl zu Schröder – auch politisch relevant werden. Im Sommer 1998 begann Stefan Hayn Aquarelle von Werbetafeln zu malen, die in der Berliner Stadtlandschaft aufgestellt waren. Jedes Blatt war von Anfang an als «Einstellung» eines Dokumentarfilms gedacht, der die wirtschaftlichen, politischen und zwischenmenschlichen Veränderungen protokolliert, die bis 2005 auf «öffentlichen» Bildern sichtbar werden. Nicht nur die Wahlplakate, sondern auch Zigaretten-, Waschmittel- und Kinowerbungen beziehen sich mehr oder weniger explizit auf Themen wie Steuergesetzgebung, Absicherung im Alter, zunehmende Arbeitsplatzängste, innen- und außenpolitische Krisen. Die Malerei fungiert im Film als Versuch, die gesellschaftlichen Veränderungen jenseits des bereits Gewussten neu zu sehen. Die Aquarelle werden einem Kommentar zu ihrer Herstellung und Bedeutung sowie dokumentarischen Aufnahmen gegenüber gestellt, um das Besondere des «malerischen Sehens» direkt erfahrbar zu machen. Was Malerei heute anregend macht, ist der Versuch einer Öffnung: Dinge nebeneinanderzustellen, die sonst nicht zusammengedacht werden, das Politische mit dem Persönlichen zu verbinden. Die Provokation liegt zum Beispiel darin, den Neuen Medien mit der Tätigkeit des Aquarellierens zu antworten also auf dem individuellen Ausdruck (dem geistigen Abdruck der Hand) zu bestehen.
(Quelle: Johannes Beringer, Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. Berlin)

35mm, Farbe und S/W, 61 min, 1998-2005,
156 reproduzierte Aquarelle von Stefan Hayn
Regie: Stefan Hayn und Anja-Christin Remmert
Kamera: Bernadette Paaßen
Originalton und Komposition der Filmmusik „To a certain extent“: Klaus Barm
Musiker: Kairos Quartett
Sprecher: Sandro Gemmingen, Anja-Christin Remmert, Stefan Hayn
Schnitt in Zusammenarbeit mit Dörte Völz-Mammarella
Redaktion ZDF/3sat: Inge Classen, Udo Bremer
Redaktion SWR: Peter Latzel, Stefanie von Ehrenstein
Gefördert durch die Medienboard Berlin Brandenburg GmbH
Öffentliche Uraufführung: Viennale 2005
Produktion: Stefan Hayn Filmproduktion
Verleih: Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. Berlin

Stefan Hayn (geb. 1965 in Rothenburg ob der Tauber, Kunststudium an der Universität der Künste Berlin, Filmregiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg) ist Maler und Filmemacher. Seine Bilder und Filme beschäftigen sich mit den Verhältnissen von alt und neu, Bild und (Lebens)Erzählung, Individualität und Vergesellschaftung. Siehe auch hier!

 

750 UND 12 JAHRE – WALDMÜNCHEN / Miriam Visaczki
Der Film ist eine direkte Reaktion auf die Waldmünchner Heimatgeschichtsschreibung anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt. Historische Recherche zu Originalschauplätzen sowie Zeitzeugen-Gespräche und Experteninterviews werden in direkten Vergleich zu Aussagen von Heimatforscher*innen gestellt.
„Waldmünchen ist eine bayerische Kleinstadt an der tschechischen Grenze. Der Film ist die Erstellung einer eigenen Chronik über die Stadt im Nationalsozialismus. Darin stelle ich meine Quellenfunde der Narration der lokalen Heimatgeschichtsschreibung und ihren eindimensionalen Anekdoten gegenüber. Eine zerbrechliche Beziehung wird beschrieben – zwischen den Zeitzeugen, der Stadt, den Archiven und der Gegenwart. Einen Schwerpunkt bilden dabei die Todesmärsche in der Region und die deutschen und tschechischen Nachbarorte, die 1938 von der Tschechoslowakei abgetrennt wurden, bis 1945 zu Waldmünchen und zum angrenzenden „Sudetenland“ gehörten und heute in Tschechien liegen.“
(Miriam Visaczki)

Mini Dv Farbe, Rolltext SW, 58 Minuten, 2006-2008.
Deutschland, Tschechien

Miriam Visaczki wurde 1978 in Regensburg geboren und lebt in Berlin. Sie studierte Visuelle Kommunikation und Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar, der Ecole Supérieure des Beaux-Arts de Toulouse und der Ecole Nationale Supérieure d’Arts de Cergy-Paris. Seit 2010 studiert sie Jüdische Studien und Geschichte an der Universität Potsdam. Ausstellungen zuletzt unter anderem bei Kirchgasse Steckborn, xyz collective Tokyo, Lars Friedrich Berlin, Christian Andersen Kopenhagen, mumok Wien, Freedman Fitzpatrick Los Angeles, Oracle Berlin, Weiss Falk Basel, Galerie Francesca Pia Zürich, Piper Keys London.

 

Alle Fotos: Lukas Pürmayr


Gestern, heute, morgen


Gestern, heute, morgen, Edith Deyerling


Gestern, heute, morgen, Edith Deyerling


Gestern, heute, morgen, Edith Deyerling


Gestern, heute, morgen, Edith Deyerling


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Gestern, heute, morgen, Miriam Visaczki


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Gestern, heute, morgen, Stefan Hayn


Gestern, heute, morgen, Stefan Hayn


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